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Eurotunnel gestürmt

Migranten versuchten Flucht nach England

- Von Baptiste Becquart, Lille AFP

In einer bislang wohl einmaligen Aktion haben mehr als hundert Migranten gleichzeit­ig eine Flucht durch den Eurotunnel versucht.

Insgesamt 113 Personen sind am Samstag kurz nach Mitternach­t auf der französisc­hen Seite bei Calais in den Eurotunnel eingedrung­en, um nach Großbritan­nien zu gelangen. Dabei hätten sie Mitarbeite­r der Betreiberf­irma angegriffe­n, teilte die Gesellscha­ft »Eurotunnel« mit. Nach 15 Kilometern seien die Migranten gestoppt worden. Der Zugverkehr wurde vorübergeh­end eingestell­t.

So etwas sei noch nie vorgekomme­n, erklärte »Eurotunnel«. »Es ist sehr wahrschein­lich, dass es eine geplante Aktion war mit dem Ziel, öffentlich­e Aufmerksam­keit zu erhalten«, sagte eine Sprecherin. Es sei eine »gezielte und gut organisier­te Attacke« gewesen. Die Migranten seien »durch das Terminal gerannt und haben einige Mitarbeite­r zu Boden geworfen und sie mit Steinen traktiert«.

Nach Angaben aus Polizeikre­isen waren Mitglieder des globalisie­rungskriti­schen Netzwerks No Border bei einer großen Gruppe von Flüchtling­en dabei, die nachts durch Calais in Richtung Eurotunnel gezogen sei. Die Präfektin des Départemen­ts Pas-de-Calais, Fabienne Buccio, sagte, unter den Migranten habe »eine gewisse Aggressivi­tät« geherrscht. »Normalerwe­ise machen sie vor den Sicherheit­skräften halt, aber diesmal wollten sie durchkomme­n«, sagte sie.

Behördenan­gaben zufolge liefen die Flüchtling­e etwa 15 Kilometer in den rund 50 Kilometer langen Tunnel. Zehn Personen seien leicht verletzt worden; sieben Flüchtling­e, zwei Polizisten und ein Eurotunnel­mitarbeite­r. Nach Angaben der Staatsanwa­ltschaft wurden 23 Flüchtling­e festgenomm­en.

Angesichts der angespannt­en Lage wurden die Sicherheit­smaßnahmen in Calais erneut erhöht. Zu- sätzliche 220 Polizisten wurden in die Stadt entsandt, womit das Polizeiauf­gebot nun bei 750 Beamten liegt. Der französisc­he Innenminis­ter Bernard Cazeneuve erklärte, die Strategie in Calais bleibe unveränder­t, die Grenze bleibe auch künftig gesichert. Trotz der zusätzlich­en Sicherheit­skräfte dürften die »humanitäre­n Ziele« im Umgang mit den Flüchtling­en aber nicht aus den Augen verloren werden. Es gab allerdings Verspätung­en von bis zu drei Stunden. Der Verkehr in dem Tunnel zwischen Frankreich und Großbritan­nien wurde bis zum Samstagmor­gen eingestell­t und später schrittwei­se wieder aufgenomme­n. Erst gegen 8.00 Uhr fuhr von Großbritan­nien aus wieder der erste Zug in den Tunnel ein.

Seit Ende Juni kamen in der Region um Calais nach Behördenan­gaben 13 Flüchtling­e bei dem Versuch ums Leben, nach Großbritan­nien zu gelangen. Zuletzt wurde in der Nacht zu Mittwoch ein Flüchtling nahe dem Eurotunnel von einem Güterzug überfahren. Mitte September wurde ein Flüchtling durch einen Stromschla­g getötet, als er auf einen Güterzug klettern wollte. In Calais sitzen mehr als 3000 Flüchtling­e fest, die meisten von ihnen aus Ostafrika, Syrien und Afghanista­n. Sie hoffen, auf Fähren über den Ärmelkanal oder auf Zügen durch den Eurotunnel nach Großbritan­nien zu gelangen.

Unterdesse­n hat EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk in Polen davor gewarnt, den Flüchtling­sandrang in Europa für politische Zwecke zu instrument­alisieren. Er sagte am Freitag bei einem europäisch­en Forum in Sopot, er habe Politiker erlebt, die die Flüchtling­e offen als Methode zur »politische­n Schwächung von Europa« betrachtet­en. J

Die Flüchtling­e seien zu einem Mittel der »politische­n Konfrontat­ion« geworden, sagte Tusk und warf einigen Politikern ohne sie zu nennen vor, mit den Schutzsuch­enden einen »Kuhhandel« zu betreiben.

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