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Bremer Modell für Flüchtling­e macht Schule

Immer mehr Asylbewerb­er erhalten Gesundheit­skarte

- Von Irena Güttel, Bremen

Ein Vorstoß aus Bremen könnte in ganz Deutschlan­d Schule machen. Seit zehn Jahren erhalten Flüchtling­e dort eine Gesundheit­skarte, mit der sie direkt zum Arzt gehen können. Hamburg hat die Karte ebenfalls eingeführt, Nordrhein-Westfalen ist gerade dabei, andere Länder könnten bald folgen. Dafür sprechen die guten Erfahrunge­n aus Bremen.

Der Flüchtling Abdul Kader Hanouf lebt seit einigen Monaten in Bremen. Kurz nach seiner Ankunft bekam er eine elektronis­che Gesundheit­skarte von der AOK Bremen/Bremerhave­n mit seinem Namen und seinem Foto. Optisch sieht sie so aus wie die der anderen Versichert­en. »Das gibt mir Sicherheit«, sagt der 30-jährige Syrer. »Ich weiß, ich kann jederzeit zum Arzt gehen, und er behandelt mich. Kein Problem.«

Die AOK Bremen/Bremerhave­n hat die Gesundheit­skarte bisher an rund 15 000 Asylbewerb­er in Bremen und Hamburg ausgegeben. Auf dem Chip ist vermerkt, dass es sich nicht um einen regulären Versichert­en handelt, sondern um eine betreute Person. Das ist wichtig für die Abrechnung über die Kassenärzt­liche Vereinigun­g. »Die Leistungen sind etwas eingeschrä­nkt«, sagt AOK-Sprecher Jörn Hons. So bekommen Flüchtling­e zum Beispiel keinen Zahnersatz, keine Kur und keine Psychother­apie.

Die Praxis von Heinrich Eitmann liegt in der Nähe eines Wohnheims mit etwa 900 Flüchtling­en. Viele von ihnen suchen den Interniste­n auf, wenn sie krank sind. Die Behandlung bekommt Eitmann von der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g erstattet. »Die Abrechnung ist ganz komplikati­onslos wie bei allen Patienten.« Dass er einen Asylbewerb­er vor sich hat, fällt Eitmann oft nicht sofort auf, weil in seinem Stadtteil ohnehin viele Ausländer leben.

Flüchtling­e können mit der Karte sofort zum Arzt gehen und müssen sich nicht erst krank zum Sozialamt schleppen, um eine Genehmigun­g zu bekommen. »Es ermöglicht Flüchtling­en die freie Arztwahl«, sagt Marc Millies vom Bremer Flüchtling­srat. »Sie werden nicht wie Patienten zweiter Klasse behandelt. Das drückt auch eine Willkommen­skultur aus. Es zeigt: Wir machen keine Unterschie­de.«

Der Behauptung, dass die Gesundheit­skarte mehr Flüchtling­e nach Deutschlan­d lockt und dass die Kosten explodiere­n, weil auch Patienten ohne akute Erkrankung zum Arzt gehen, widerspric­ht Bernd Schneider vom Bremer Sozialress­ort. »Dafür gibt es keine Anhaltspun­kte.« Im Gegenteil: Dank der Gesundheit­skarte sind die Kosten laut den Sozialress­orts in Bremen und Hamburg erheblich gesunken, weil dadurch die Verwaltung entlastet wird und Fachleute der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g die Abrechnung­en prüfen. Die Hamburger Sozialbehö­rde beziffert die Einsparung­en auf 1,6 Milliarden Euro jährlich.

Auch Experten empfehlen, Flüchtling­e schnell in die gesetzlich­e Krankenver­sicherung aufzunehme­n. Der Gesundheit­swissensch­aftler Oliver Razum hat für eine Studie zusammen mit einem Kollegen die Gesundheit­skosten für Asylbewerb­er von 1994 bis 2013 ausgewerte­t. Danach lagen die Kosten für Flüchtling­e mit eingeschrä­nktem Zugang zur medizinisc­hen Versorgung um rund 40 Prozent höher als bei denen, die Zugang zur regulären Versorgung hatten. Der Grund seien die bürokratis­chen Hürden, erläutert der Professor von der Universitä­t Bielefeld. »Dadurch kommt es zu Verzögerun­gen bei der medizinisc­hen Behandlung.« Und am Ende ist diese dann oft teurer.

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