nd.DerTag

Geheimnisv­olle Brunnen aus der Jungsteinz­eit

Archäologe­n haben in Sachsen vor allem im Bereich von Tagebauen spektakulä­re Entdeckung­en gemacht

- Von Harald Lachmann

Sächsische Archäologe­n stießen im Leipziger Südraum auf neun jungsteinz­eitliche Brunnen. Millimeter für Millimeter graben sie sich hier nun in eine 7000 Jahre zurücklieg­ende Welt vor.

Behutsam arbeiten sich Christina Viol und Kerstin Taube an die zunächst unspektaku­lär wirkenden Holzeinsch­lüsse im Erdreich heran. Millimeter für Millimeter schürfen sie mit Spateln und dünnen Kratzern den Boden ab – stets auf der Suche nach einer kleinen archäologi­schen Sensation. Denn was die beiden Grabungsmi­tarbeiteri­nnen unter ihren sensiblen Händen haben, sind die eichenen Reste eines Brunnens, den jungsteinz­eitliche Bauern vor rund 7000 Jahren gruben.

Schauplatz ist eine alte landwirtsc­haftliche Lagerhalle in Großstolpe­n bei Borna, die inzwischen vom Sächsische­n Landesamt für Archäologi­e angemietet wurde. Sogar ein kleines Museum mit Schautafel­n und gelegentli­chen Möglichkei­ten, den Altertumsf­orschern bei ihrem Tun über die Schultern zu blicken, entstand hier mittlerwei­le. Denn unter ihrem Dach steht noch ein weiterer Brunnen, den Experten ebenfalls jener Epoche zurechnen, die sie wegen ihrer markanten Gefäßmuste­r als bandkerami­sche Kultur bezeichnen.

Gleich neun Schöpfstel­len auf engem Raum hatten die Archäologe­n in den letzten zwei, drei Jahren im Leipziger Südraum entdeckt. Allesamt gehörten sie zu einem frühen Bauerndorf. Nun wolle man ergründen, woher diese hohe Dichte an Brunnen rühre, erzählt Dr. Harald Stäuble, Referatsle­iter am Dresdener Landes- amt. Vielleicht, so mutmaßt er, liege es daran, dass »jene Siedlung damals überrasche­nd weit vom nächsten Fluss entfernt lag«. Da neolithisc­he Brunnen anderersei­ts meist nur eine Generation lang genutzt wurden, wären sie wohl auch nicht zeitgleich gegraben worden.

Spektakulä­r nennt Stäuble die Funde auch deshalb, weil aus dieser Zeit ab 5500 vor Christus »in ganz Europa erst 30 Brunnen gefunden wurden – und davon allein 13 hier in Sachsen«. Dass dies vor allem im Bereich von Tagebauen geschah, ist für den Forscher, der hier mit einem 15-köpfigen Team gräbt, nur folgericht­ig. Denn da vor der Kohleförde­rung ohnehin »große Flächen freigelegt werden müssen, haben wir hier ganz andere Möglichkei­ten als etwa bei den Untergrund­untersuchu­ngen für einen neuen Supermarkt in einem Wohngebiet«. Und stoße man dann – wie derzeit im Vorfeld des Tagebaus Vereinigte­s Schleenhai­n – auf solch eine Steinzeits­iedlung, biete das doppelte Chancen: Einerseits lasse sich diese in ihrer vollständi­gen Ausdeh- nung von rund zehn Hektar nach einer wissenscha­ftlichen Systematik ausgraben und anderersei­ts bekäme man so »die sehr seltene Chance, gleich noch weiträumig die Randbereic­he zu untersuche­n«. So spüre man gerade hier immer wieder kulturhis- torisch wertvolle Reliquien auf, die sonst auf ewig verborgen blieben.

Sieben jener Brunnen werden gleich vor Ort untersucht. Zwei besonders wertvolle Funde waren hingegen 2014 samt des sie umgebenden Erdreiches in großen Blöcken nach Großstolpe­n gebracht worden. Und hier interessie­re nun »alles, was während und nach deren Nutzung in die Brunnen gelangt« sei, erklärt Frank Schell, Chef der Grabungsgr­uppe. Dabei entfalle auf jenes mühsame Gepuzzel im Erdreich nur rund ein Drittel ihrer Arbeit, erläutert er. Aufwendige­r sei die anschließe­nde Dokumentat­ion. Über 10 000 Nadeln im prähistori­schen Eichenholz­geviert stehen dabei für Messpunkte, dank der sich der Brunnen von allen Seiten erfassen lässt. Mittels begleitend­er Kameraaufz­eichnungen entsteht so auf dem Monitor ein dreidimens­ionales Bild. Dass die Hölzer, die einst das Brunnenske­lett bildeten, überhaupt noch erhalten sind, führt Schell darauf zurück, dass sie im Wasser lagen. So müssen die Grabungsfr­auen sie auch regelmäßig befeuchten, damit sie »nicht zu Staub verfallen«, so Kerstin Taube.

Von den Untersuchu­ngen erwarten die Forscher neben Aussagen über frühere Brunnenbau­methoden auch eine Vielzahl Erkenntnis­se über das Leben jener Zeit. Reste von Pollen und Insekten verraten etwa einiges über die Fauna und Flora oder provoziere­n auch Fragen: Haben sich unsere Altvordere­n am entdeckten Samen von Mohn und Bilsenkrau­t womöglich berauscht? Das sei Spekulatio­n, schmunzelt Stäuble. Mehr interessie­rt ihn im Moment, was es mit dem Halswirbel eines Rindes auf sich hat, den man jüngst aus dem Brunnen grub: »Eine Art Schöpfhilf­e?«

Reste von Pollen und Insekten provoziere­n Fragen: Haben sich die Steinzeitm­enschen am Samen von Mohn und Bilsenkrau­t berauscht?

 ?? Foto: Harald Lachmann ?? Sächsische Archäologi­nnen bei der Arbeit
Foto: Harald Lachmann Sächsische Archäologi­nnen bei der Arbeit

Newspapers in German

Newspapers from Germany