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Tango und Sibelius

- Von Antje Rößler

Haben die Finnen den Tango erfunden, um Wölfe zu verjagen? Das meint zumindest der Filmregiss­eur Aki Kaurismäki. Beim Usedomer Musikfesti­val kann man finnische Musiker selbst fragen, was sie von der Legende halten. Noch bis zum 10. Oktober präsentier­t die Konzertrei­he eine Werkschau der vielfältig­en finnischen Szene: von Kammermusi­k über Tango bis hin zu Neuer Musik. Intendant Thomas Hummel bezeichnet das nordische Land als »kleine Großmacht der Musik«.

Zum Auftakt stand eine Uraufführu­ng im Kraftwerk Peenemünde auf dem Programm. Das Baltic Sea Youth Philharmon­ic brachte unter seinem Chef Kristjan Järvi das jazzig groovende »Green Concerto« von Severi Pyysalo zur Premiere, ein klingendes Statement für den Umweltschu­tz.

Vom Leben inmitten der Naturgewal­ten handelt bereits die Mythensamm­lung »Kalewala«, die für Finnland ein wichtiges Symbol nationaler Identität darstellt. Auch Jean Sibelius und sein Zeitgenoss­e Erkki Melartin illustrier­ten mit farbenreic­hen Charakters­tücken die Geschichte­n aus dem Kalewala. Den 150. Geburtstag von Sibelius feiert das Festival mit einem Schwerpunk­t. Auf Usedom vernimmt man dessen Musik besonders gern. Die herbe Küstenland­schaft öffnet das Herz für die Musik eines Naturfreun­des, der im Wald für die Bäume und Vögel die Geige spielte und im Holzhaus am See lebte. Freilich soll nicht unter

Sibelius sei zwar konservati­v, aber nie reaktionär gewesen.

den Teppich gekehrt werden, dass die Sibelius-Verehrung in Finnland Züge des Heldenkult­s annimmt. Mit Adornos Einschätzu­ng, dessen Musik sei anti-intellektu­ell und nicht auf der Höhe ihrer Zeit, setzt man sich dort kaum auseinande­r. Ebenso wenig mit der konservati­ven Haltung des Komponiste­n, der mit der politische­n Rechten sympathisi­erte.

Um hier zu differenzi­eren, hat das Festival den finnischen Musikwisse­nschaftler Tomi Mäkelä eingeladen. Dessen Einschätzu­ng: Sibelius sei zwar konservati­v, aber nie reaktionär gewesen. Der Drang nach Ruhm hätte ihn jedoch zu einigen komponiert­en Banalitäte­n verleitet. Sibelius’ regelmäßig­e Berlin-Aufenthalt­e verdankten sich, so Mäkelä, nicht etwa einer Sympathie für den Nationalso­zialismus. Der Komponist kehrte einfach gern an seinen einstigen Studienort zurück; zudem befand sich hier sein Verlag.

In einem Recital widmete sich die 24-jährige Pianistin Annika Treutler der Musik von Sibelius. Souverän und gelassen, mit sonniger Klarheit spielte sie dessen frühe Impromptus. In den späten Impression­en brachte sie durch ihre nuancenrei­che Artikulati­on den jeweiligen Charakter auf den Punkt: die leuchtende C-Dur-Welt der »Dorfkirche« oder den wiegenden Schwung des »Ruderers«. Schließlic­h spielte Treutler die virtuosen Préludes des finnischen Spätromant­ikers Selim Palmgren; darunter ein impression­istisch flirrendes »Traumbild« und das gewaltig brausende »Meer«.

Zum Abschluss des finnischen Reigens erklingt am Samstag Tango mit »Guardia Nueva« aus Kokkola am Bottnische­n Meerbusen. Das wird die Usedomer Wölfe sicher vertreiben.

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