Wanderer zwischen den Welten
Dem
US-nigerianischen Autor Teju Cole gelang im Vorjahr mit dem Roman »Open City« ein Welterfolg. Ein junger Mann afrikanischer Herkunft reist darin aus den USA nach Europa, um in Belgien und Deutschland nach Spuren seiner Mutter zu suchen. Der Erfolg dieses Romans ermöglichte nun die Neuauflage eines Buchs, das Cole bereits 2007 veröffentlichte – in einem nigerianischen Verlag.
»Jeder Tag gehört dem Dieb« – der Titel dieses Reports zitiert ein Sprichwort der Yoruba-Volksgruppe in Nigeria. Es besagt, dass es kaum gelingt, Augenblicke festzuhalten, weil alles vergänglich ist. »Jeder Tag gehört dem Dieb« thematisiert die Suche der Hauptfigur nach den Jahren der Kindheit in Lagos. Die Perspektive ist eine westliche: Der Erzähler erlebt nigerianische Korruption schon im Konsulat in den USA – und erst recht im Land seiner Geburt. Internet-Kriminalität, Verkehrskollaps und Machtmissbrauch der Politiker sind weitere Phänomene, die dem zum USAmerikaner gewordenen geborenen Nigerianer auffallen und ihm die Frage nach seiner Identität stellen. Da ist die Sehnsucht des Erzählers nach der Lebendigkeit der Metropole Lagos, und zugleich wird ihm deutlich, wie sehr er US-sozialisiert ist und sich sein Leben in New York eingerichtet hat.
Teju Cole arbeitet als Fotograf und Autor. Seine reflexiven Texte erinnern an die Momentaufnahmen flanierender französischer Literaten, an Marcel Proust und Albert Camus. Cole selbst zitiert Michael Ondaatje, einen weiteren Wanderer zwischen den Welten. Seiner Ich-Figur in die-
Nachdenken über Identität, Freundschaft, Familie, Abschied und Neubeginn.
sem Buch gibt er – wie in »Open City« – den zum Innenschau-Modus passenden Beruf eines Psychiaters.
Im Gegensatz zur Fiktionalität von »Open City« ist »Jeder Tag gehört dem Dieb« indes ein Bericht, wenngleich nicht weniger subjektiv, einfühlsam, selbstkritisch und detailliert beobachtend. Über diese Subjektivität hinaus gewinnt der Roman an Bedeutsamkeit aufgrund der Fragen, die der Ich-Erzähler sich stellt: Wie geht Nigeria mit seiner ideellen Vergangenheit um, warum lässt die Politik dort es Utopien vermissen, warum fehlt ein kulturelles Selbstbewusstsein?
So ist »Jeder Tag gehört dem Dieb« ein Nachdenken über Identität, Freundschaft, Familie, Abschied und Neubeginn – und es ist schade, dass dieses Buch nicht schon viel früher die Aufmerksamkeit fand, die es nun, nach seiner Neuveröffentlichung außerhalb Afrikas, erhält.