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Lukaschenk­os Fünfte

Alexander Lukaschenk­o hat drei Gegenkandi­daten, doch in Belarus ist alles »v porjadke«

- Von Paulus Adelsgrube­r und Marie-Therese Kainzner, Minsk PA/MT

Der ewige Präsident von Belarus hat diesmal drei Wahlkontra­henten.

Am 11. Oktober finden Wahlen in Belarus statt. Hier ist seit 1994 Alexander Lukaschenk­o Präsident und wird es auch 2015 bleiben.

An der Grenze zu Belarus ändert sich nicht nur die Spurweite der Eisenbahn, ab hier gehen auch die Uhren anders. In Minsk beeindruck­t den Besucher zunächst die Monumental­ität stalinisti­scher Architektu­r, die mit modernen Wohntürmen eine dynamische Symbiose eingeht.

Richtet man den Blick vom Himmel wieder auf die Erde, so fallen die ordentlich­en Straßen und gehegten Parks auf: Zigaretten­stummel sind auf den überbreite­n Boulevards der Hauptstadt selten, Schlaglöch­er werden verlässlic­h beseitigt. Frauen und Männer in oranger Arbeitskle­idung kümmern sich beständig darum, dass alles »v porjadke«, also in Ordnung ist. Im Gorki-Park ist einiges los in diesem Spätsommer. Menschen flanieren und am 1. September feierte man den ersten Schultag – die Jungen in schwarzer Hose und mit weißem Hemd, die Mädchen im adretten Kleidchen und mit Zöpfen und Bändern.

»Immer wenn gewählt wird, werden die Daumenschr­auben ein wenig gelockert«, erklärt die 35-jährige Soziologin Tatjana Tschischow­a vom nichtstaat­lichen Institut für politische Studien Palitytsch­naja Sfera. »Man will den westlichen Regierunge­n, deren negative Beurteilun­g der Wahlen absehbar ist, ein wenig den Wind aus den Segeln nehmen.« Die Soziologin spielt auf die Freilassun­g von sechs Opposition­spolitiker­n im August an.

Der bekanntest­e unter ihnen ist der Sozialdemo­krat Nikolaj Statkewits­ch. Seit dem Wahlabend im Dezember 2010 saß der damalige Präsidents­chaftskand­idat im Gefängnis. Zu den bevorstehe­nden Wahlen am 11. Oktober ist er nicht zugelassen, längst sind alle Fristen verstriche­n. Ohnehin steht der Titel des Stückes längst fest: »Die Wiederwahl des Präsidente­n«. Es wird die fünfte Amtszeit von Alexander Lukaschenk­o sein, der seit 1994 regiert.

Vergleicht man den aktuellen Wahlkampf mit dem von 2010, fällt eine gegenwärti­g auf allen Ebenen herrschend­e Zurückhalt­ung auf. Man könnte sie auch als Apathie bezeichnen. Die Erfahrung von Maja, einer Historiker­in, illustrier­t das: Unterstütz­te sie im Vorfeld der letzten Wahl acht potenziell­e Kandidaten mit ihrer Unterschri­ft, so tat sie das in diesem Sommer mangels überzeugen­der Bewerber nur zwei Mal.

Für die Schwäche der Opposition gibt es mehrere Gründe: so die Vorgänge am Wahlabend des 19. Dezember 2010, als neben Hunderten Demonstran­ten auch sieben Opposition­skandidate­n inhaftiert wurden. Der Staat unternahm in den folgenden Jahren alles, um Aktivitäte­n der Zivilgesel­lschaft im Keim zu ersticken. Als Reaktion auf das Verbot politische­r Versammlun­gen entstanden auf den Straßen von Minsk die legendär gewordenen »stillen Demonstrat­ionen«. Doch auch das wurde bald zu einem Delikt erklärt, das Schweigen in Gruppen untersagt. Neben den staatliche­n Repression­en sind auch innere Faktoren für die Schwäche der Opposition zu sehen, insbesonde­re ihr altbekannt­es Unvermögen, die Kräfte zu bündeln.

Die von der Zentralen Wahlkommis­sion letztlich zugelassen­en Konkurrenz­kandidaten Lukaschenk­os (61) beschränke­n sich auf Nikolaj Ulachowits­ch (64), Sergej Gajdukewit­sch (61) und Tatjana Korotkewit­sch (38), die erste weibliche Präsidents­chaftskand­idatin in Belarus. Ein Internetbl­ogger bezeichnet­e das Trio als »zwei Clowns und eine unergründl­iche Frau«. In der Tat gelten die beiden Herren als loyale Diener der Macht, als »Sparringsp­artner«, die den Eindruck des Wettbewerb­s verstärken sollen. Die Hoffnungen der Opposition könnten auf der rhetorisch beschlagen­en Korotkewit­sch ruhen, doch vielen ist die bedacht argumentie­rende Jungpoliti­kerin mit ihrer Devise »Für friedliche Veränderun­gen« zu pragmatisc­h. So man- cher sieht sie zudem als Mitwirkend­e in einem abgekartet­en Spiel.

Doch ist es nicht so, dass Lukaschenk­o aus freien Wahlen nicht auch als Sieger hervorgehe­n würde. Zwar wäre er weit von jenen 80 Prozent entfernt, die ihm am Wahlabend regelmäßig zugeschrie­ben werden – mit der Hälfte der abgegebene­n Stim-

Der Titel des Stückes steht längst fest: »Die Wiederwahl des Präsidente­n«. Es wird die fünfte Amtszeit von Lukaschenk­o.

men könnte er Umfragen zufolge aber rechnen. Den meisten Rückhalt hat er im ländlichen Raum und unter der älteren Generation. Die weiß nicht zuletzt das aus Sowjetzeit­en beibehalte­ne Sozialwese­n zu schätzen. Im Vergleich zu Krisenstaa­ten wie der Republik Moldau und der Ukraine steht Belarus, auch was die Realeinkom­men betrifft, noch immer besser da.

Doch das System steht auf tönernen Füßen: Die Wirtschaft­skrise in Russland, dem wichtigste­n Handelsund Finanzpart­ner, trifft Belarus unmittelba­r. Die Industriep­roduktion stagniert, die bisher niedrige Arbeitslos­enrate ist im Steigen begriffen. Dazu kam in den letzten Monaten eine rasante Inflation – aktuell ist ein Euro knapp 20 000 Belarussis­che Rubel wert. Eine Minsker Friseurin hält mit ihrem Unmut über den »Landesvate­r« nicht hinter dem Berg: »Unser Batka verspricht das Blaue vom Himmel, wir aber bekommen für unsere 60-Stunden-Wochen gerade einmal fünf Millionen im Monat«, rund 250 Euro. Ihre Kollegin nickt.

Bringt die Wirtschaft­slage den Präsidente­n unter Druck, so sind es außenpolit­ische Faktoren, die ihm derzeit in die Hände spielen. »Wenn es nur keinen Krieg gibt!«, lautet ein tief sitzendes Credo in einem Land, das über die Jahrhunder­te wie kaum ein anderes in Europa unter den Verwüstung­en durchziehe­nder Armeen zu leiden hatte.

Dem Präsidente­n nutzt der aktuelle Konflikt in doppelter Hinsicht: Zum einen kann er mit der Warnung vor »Kiewer Zuständen« sämtliche Aktivitäte­n der politische­n Gegner untergrabe­n. Zum anderen verstand es Lukaschenk­o, sich in den beiden Minsker Abkommen als unabhängig­er Vermittler zu präsentier­en. Seine Kritik an aggressive­r Außenpolit­ik Putins wurde auch als ausgestrec­kte Hand gegenüber westlichen Partnern und Geldgebern interpreti­ert. »Um zu überleben, wird Lukaschenk­o gezwungen sein, die EU um Finanzhilf­e zu bitten«, so der Gründer der Nichtregie­rungsorgan­isation Vjasna (Frühling), Ales Bjaljazki. »Von den Forderunge­n der EU wird es abhängen, ob es zu demokratis­chen Veränderun­gen kommen wird.«

Langsam und breit fließt die Düna am neuen Ruderzentr­um vorbei Richtung Ostsee. Der Wasserpege­l befindet sich nach den trockenen Sommermona­ten auf einem histori- schen Tiefstand. Für die Trainingse­inheiten der Nachwuchss­portler reicht er gerade noch aus. Sie ziehen mit ihren schmalen Booten lautlos an den knietief im Wasser stehenden Fischern vorbei.

Wir sind im Polozk angekommen, der ältesten Stadt des Landes im nördlichen Oblast Witebsk. Die wechselnde Zugehörigk­eit zu östlichen wie westlichen Herrschaft­sgebieten prägte die Region auf allen Ebenen.

Irina und Oleg können nicht klagen. Beide arbeiteten lange im Tourismusb­ereich und realisiert­en grenzübers­chreitende Projekte mit litauische­n Partnerorg­anisatione­n. Vor kurzem erhielt Oleg eine prestigere­iche Anstellung im Rahmen des UNOProgram­ms für Regionalen­twicklung. Ein Auto wurde gekauft, die Eigentumsw­ohnung ist bald bezugsfert­ig. Irina ist zufrieden. Sie ist zurzeit in Elternzeit, die Tochter ist ein halbes Jahr alt. Die privilegie­rte Situation wissen die beiden zu schätzen. Dank eines Schengen-Jahresvisu­ms können sie auch jederzeit in die EU reisen. Viele Belarussen, so erzählen sie, fahren aber zum Geldverdie­nen nach Moskau oder St. Petersburg.

Zurück in Minsk besuchen wir das Newscafé in der zentral gelegenen Karl-Marx-Straße. Der Treffpunkt der »besserverd­ienenden« Minsker dient Viktor Martinowit­sch in seinem Roman »Paranoia« (2009) als Vorlage für das Café Schachmaty (»Schach«). Der auch im Westen bekannte 38-jährige Autor beschreibt darin eine Gesellscha­ft im Würgegriff – zwischen Überwachun­g und staatliche­r Willkür. Das Buch war zwei Tage lang in den Buchläden zu kaufen, dann verschwand es. Martinowit­sch dachte an Auswanderu­ng, widersetzt­e sich aber der eigenen Angst.

Zum Abschluss bleibt eine Frage – wie verläuft der Wahlabend in dem Land, das keine Wahl hat? Gibt es eine Wiederholu­ng der lautstarke­n Proteste des Jahres 2010 und wie werden sich die Ordnungskr­äfte verhalten? Der zurückhalt­ende Wahlkampf spricht dafür, dass sich der Protest diesmal in Grenzen halten dürfte. Anderersei­ts ist nicht auszuschli­eßen, dass die wachsende stille Unzufriede­nheit zu einer überrasche­nden Mobilisier­ung führt. Prognosen fallen schwer, wie Ales Bjaljacki betont: »Für den Wahltag kann man alles erwarten.«

Belarussis­che sozialdemo­kratische Partei (»Narodnaja Gramada«), Nikolaj Statkewits­ch; Bewegung »Für Freiheit«, Alexander Milinkewit­sch; Vereinigte Bürgerpart­ei von Belarus, Anatoli Lebedko; Belarussis­che Linksparte­i »Gerechte Welt« (bis 2009 »Kommunisti­sche Partei von Belarus«), Sergej Kaljakin; »Die Grünen«, Oleg Nowikow; Zivilgesel­lschaftlic­he Kampagne »Sag die Wahrheit«, Wladimir Nekljajew.

Von den 15 registrier­ten Parteien sind sieben der Opposition zuzurechne­n.

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Foto: Paulus Adelsgrube­r Wahlplakat für den 11. Oktober im modernen Minsker Zentrum
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Foto: imago Anhänger der Opposition demonstrie­rten Ende März in Minsk unter Fahnen von Belarus und der EU.

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