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Mainz, wie es hilft und lobt

Straßenbah­nfahrer aus der rheinland-pfälzische­n Landeshaup­tstadt im Berlin-Einsatz

- Von Bernd Kammer

Weil der BVG Fahrer fehlen, sucht sie in anderen Städten nach Aushilfskr­äften. Mainzer fahren jetzt auf der Linie 16.

Das war knapp. In der Allee der Kosmonaute­n sprintet ein Radfahrer noch über die Gleise. Richard Kleber kann seine Straßenbah­n gerade noch abbremsen. »Da hat er prima reagiert«, lobt Fahrlehrer­in Ines Birnstiel. Aber Kleber kennt diese Situatione­n, denn er ist ausgebilde­ter Straßenbah­nfahrer, allerdings in Mainz. »Waghalsige Radfahrer gibt es auch bei uns.«

Dass Kleber sich jetzt über die Berliner ärgern muss, liegt an der Mission, die er hier erfüllt: Mit zwölf weiteren Kollegen aus der rheinland-pfälzische­n Landeshaup­tstadt hilft er der BVG, ihren Personalen­gpass bei der Straßenbah­n zu überwinden. Seit Monaten hat das Unternehme­n den Tram-Fahrplan ausgedünnt, weil Fahrer fehlen. Um die Lücke zu schließen, hat es sich die Mainzer ausgeborgt, bis zu fünf Fahrer werden auch noch aus Augsburg erwartet. Stettin hat abgesagt, aus Frankfurt (Oder) könnte noch ein Fahrlehrer nach Berlin wechseln.

Für Kleber war es am Dienstag die letzte Fahrt ohne Passagiere, um die Strecke und die Unterschie­de bei Weichen und Signalen kennenzule­rnen. Die Niederflur­bahnen der BVG sind kein Problem, der Typ ist auch in Mainz unterwegs. Wer wissen will, wie die rheinische­n Fahrer eine Bahn steuern, muss die Linie 16 zwischen Ahrensfeld­e und dem S- und U-Bahnhof Frankfurte­r Allee nutzen, die ist etwa zur Hälfte in Mainzer Hand. »Es ist praktische­r, unsere Kollegen auf Zeit mit einer Linie vertraut zu machen als mit mehreren«, so BVGSpreche­rin Petra Reetz. »Unsere Fahrer werden dann frei für andere Linien.«

Angelo Cappello fährt schon seit Mitte September auf der Linie 16 durch Marzahn und Lichtenber­g. »Ich habe mich sofort beworben, als bei uns Fahrer für Berlin gesucht wur- den.« 1985 sei er das letzte Mal in Berlin gewesen und jetzt fasziniert davon, wie sich die Stadt verändert habe. »Und die Berliner sind gar nicht so schlimm, wie ich sie mir vorgestell­t habe. Die bedanken sich sogar, wenn ich die Tür wieder aufmache, wenn einer noch angeflitzt kommt.« In Mainz wird demnächst die vierte Straßenbah­nlinie eingeweiht, die Fahrer dafür gibt es schon. Ob er und seine Kollegen jetzt in Mainz fehlen? »Nee, wir haben ausreichen­d Fahrer in Reserve.«

Dahin will die BVG auch mal kommen. 960 Fahrer hat sie derzeit, gut 1000 braucht sie für einen normalen Betrieb. Die Ursache für die Personalno­t sieht das Unternehme­n weiterhin in der Rente mit 63. »Diese Regelung haben mehr Beschäftig­te genutzt als erwartet«, so Reetz. Besonders bei der Straßenbah­n hätten viele Mitarbeite­r aus dem Ostteil der Stadt ununterbro­chen beim Verkehrsbe­trieb gearbeitet und so die 45 Versicheru­ngsjahre erreicht. Die Gewerkscha­ft ver.di hatte der BVG dagegen eine falsche Personalpl­anung vorgeworfe­n.

Die BVG sucht nun nicht nur bei anderen Verkehrsbe­trieben nach Nothelfern, sondern bildet auch mehr eigene Fahrer aus. »Wir wollen auf etwa 1050 Fahrer kommen. Das dürfte als Puffer auch bei Fahrplanve­rdichtunge­n reichen«, sagt Reetz.

Eine Weile müssen die Mainzer aber noch aushelfen. Reetz schätzt, dass sie ihren Hauptstadt­dienst Ende des ersten Quartals 2016 beenden können. In gut einem Monat soll auch klar sein, ob die Fahrplanei­nschränkun­gen zum Jahresende zurückgeno­mmen werden. Derzeit fährt die BVG etwa 97 Prozent der bestellten Leistung. Für alles, was unterhalb von 99,7 Prozent liegt, zahlt der Senat kein Geld. Unter anderem fahren die Bahnen auf der M 4 alle vier statt drei Minuten, auf der M 10 alle sechs statt fünf Minuten. Darüber, was der Einsatz der Fremdfahre­r die BVG kostet, herrscht Stillschwe­igen. »Wir sorgen dafür, dass den Mainzern keine Kosten entstehen«, heißt es lediglich.

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Foto: nd/Ulli Winkler Ein Mainzer Straßenbah­ner in Berlin: Angelo Capello

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