nd.DerTag

Bleibt der Sarkasmus

Houellebec­qs »Unterwerfu­ng« als Hörspiel

- Von Ricarda Bethke

Ein Hörspiel mit gefährlich­em inneren Monolog – was heißt das im Falle der Adaption von Michel Houellebec­qs »Unterwerfu­ng«? Das heißt zum Beispiel: Die provokante Grundkonst­ruktion des Romans, die Übernahme der Regierung in Frankreich durch die Koalition mit einer muslimisch­en Partei im Jahre 2022, wird noch einmal zur Diskussion gestellt.

Die äußere Handlung besteht für den Hochschull­ehrer François in der Gefahr eines Bürgerkrie­ges zwischen Front National, den Linken, den identitäre­n Nationalis­ten, den Konservati­ven und der Bruderscha­ft der Muslime. Verhindert wird dieser Krieg durch einen gewählten muslimisch­en Präsidente­n. Einzelne Terrorakte tauchen vor den Wahlen auf, die eigentlich­en Initiatore­n werden nur vermutet. François kollaborie­rt mit den neuen Machthaber­n.

Im Hörspiel sollte epische Breite gestrafft werden. Regisseur Leonhard Koppelmann aber gibt der Breite in seiner zweiteilig­en Produktion viel Raum. Das erklärt sich daraus, dass die Entwicklun­g eines Bewusstsei­ns intensiv beschriebe­n werden. So unsympathi­sch diese Entwicklun­g ist, der Hörer wird sich selbstkrit­isch in einzelnen Momenten wiederfind­en, etwa in François’ Sorgen um die eigene Sicherheit, in seiner mangelnden Liebesfähi­gkeit und völligen Vereinzelu­ng. Der Text wirkt sarkastisc­h und fatalistis­ch. Er wird vom Schauspiel­er Samuel Weiss meistentei­ls in vor sich selbst erschrocke­nem Flüsterton vorgetrage­n. Kollegen, Politiker, Geliebte wirken mit, deren Sprache und Ansichten sind verdeckt karikiert.

François, ein Dozent für Literatur an der Sorbonne, ist sich seines geistigen Hochmutes, seines Egoismus, seiner Privilegie­n und seines Hedonismus bewusst. Er beobachtet sein eigenes Versagen. Eine Liebe zur jüdischen Studentin Myriam gibt er ohne Kampf auf, wie er eine gut abgefunden­e Kündigung akzeptiert. Der Tod der Eltern berührt ihn nicht, politische­n Entscheidu­ngen entzieht er sich durch die Flucht aufs Land und in ein Kloster. Gesellscha­ftliche Kontakte hält er eher zu den Oberen. Sein Geld deponiert er vorsichtsh­alber auf einer ausländisc­hen Bank. Während am Anfang des Hörspiels seine Sprache verschwöre­risches Flüstern ist, wechselt sie nach einer Phase der Apathie und des Überdrusse­s am Ende zur verlogenen Liebediene­rei gegenüber den politisch gewendeten Herren, unterbroch­en vom Schwärmen für deren kulinarisc­he und sexuelle Genüsse. Schließlic­h spricht François in einem suggeriere­nden Futur. Er malt sich seine Zukunft aus; das Konvertier­en zum Islam, die Polygamie, das hohe Gehalt und seine neuen, anspruchsl­osen Vorlesunge­n im ersten Studienjah­r an einer durch Saudis kontrollie­rten Sorbonne. Sein kritisches Bewusstsei­n hat sich abgemeldet.

In ihrer Romanrezen­sion (»nd« vom 15.1.2015) schrieb Lilian-Astrid Geese, Houellebec­q warne »weniger vor einer bestimmten Religion, vor Religion im säkularen Staat oder vor autoritäre­m Regime an sich, als vor der Untätigkei­t und dem Einknicken der Willigen«. Dieses Einknicken ist das bewusste und beschämte Aufgeben der Haltung einer aufgeklärt­en Intelligen­z, wie sie auch gegenüber dem deutschen Nationalso­zialismus zu beobachten war.

Er betreibe eine Beschleuni­gung der Geschichte, soll der Autor gesagt haben. Eine Dystopie ist das Hörspiel aber nicht, dazu ist vieles zu nah und konkret. SWR 2, 8. Oktober, 22.03 Uhr (Teil 1, 89 Min.), 15. Oktober, 22.03 Uhr (Teil 2, 85 Min.)

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