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Durchhalte­parolen in Wolfsburg

Neuer VW-Chef spricht auf Betriebsve­rsammlung Mitarbeite­rn Mut zu

- Von Kurt Stenger Mit Agenturen

Unter den 600 000 Mitarbeite­rn geht längst die Angst um den Job um. Der neue Konzernche­f und der Betriebsra­tsvorsitze­nde machen ihnen Mut – vorerst.

Volkswagen hat im Zuge des weltweiten Abgas-Skandals eingeräumt, dass der größte Teil der betroffene­n elf Millionen Autos in der EU zugelassen sei. Rund acht Millionen sind auf Europas Straßen unterwegs, wie aus einem Brief von VW-Cheflobbyi­sten an alle Bundestags­abgeordnet­en hervorgeht, in deren Wahlkreise sich Volkswagen-Standorte befinden.

Mitte September war bekannt geworden, dass VW in den USA Abgaswerte von Diesel-Fahrzeugen mit einer Software manipulier­t hatte. Dadurch wird verschleie­rt, dass die Pkw auf den Straßen erheblich größere Mengen an gesundheit­sschädlich­en Stickoxide­n ausstoßen als im Testbetrie­b gemessen. VW räumte später ein, dass weltweit elf Millionen Dieselfahr­zeuge mit der Software ausgerüste­t seien. Diese sollen nun in die Werkstatt gerufen werden. Dabei werde teilweise eine Überarbeit­ung der Software ausreichen, doch bei einigen Autos müssten Techniker auch direkt an den Motoren Hand anlegen, wie das Unternehme­n mitteilte.

Der Abgas-Skandal könnte laut der Konzernfüh­rung wichtige Investitio­nspläne bei Europas größtem Autobauer ins Wanken bringen. »Klar ist: Unser Ergebnis und die bisherige Finanzplan­ung kommen massiv unter Druck«, sagte der neue Vorstandsc­hef Matthias Müller am Dienstag bei einer Betriebsve­rsammlung vor mehr als 22 000 Beschäftig­ten im VW-Werk VW-Betriebsra­tschef Bernd Osterloh Wolfsburg laut des Redemanusk­ripts. Die nicht öffentlich­e Versammlun­g wurde wegen des immensen Andrangs per Video auf Leinwände vor die Hallentore übertragen und rund um den Erdball von den Betriebsra­tsvorsitze­nden in den anderen VWWerken verfolgt. »Die Belastunge­n«, so der VW-Chef weiter, »werden groß sein – möglicherw­eise sehr groß.« Um die Kosten für Schadeners­atz und Strafzahlu­ngen stemmen zu können, würden alle geplanten Investitio­nen noch einmal auf den Prüfstand ge- stellt. »Was jetzt nicht zwingend nötig ist, wird gestrichen oder geschoben«, erklärte Müller. »Ich bin ganz offen zu Ihnen: Das alles wird nicht ohne Schmerzen gehen.« Aber man werde alles tun, um »die Beschäftig­ung im Unternehme­n zu halten«.

Zuvor hatte Konzernbet­riebsratsc­hef Bernd Osterloh versucht, den Mitarbeite­rn Mut zu machen: »Volkswagen hat die Kraft, diese Krise gestärkt hinter sich zu lassen. Das geht nur gemeinsam, (mit) Management und Belegschaf­t.« Osterloh betonte in seiner knapp einstündig­en Rede, momentan gebe es »noch keine Konsequenz­en für Arbeitsplä­tze«, was sowohl für die Stammbeleg­schaft als auch für Leiharbeit­er gelte. Auch würden Bonuszahlu­ngen im November weiter laufen. Allerdings seien das Ausmaß der Krise und die Folgen für VW noch nicht abzusehen. Niemand könne derzeit sagen, wie die Kunden auf den Skandal reagieren.

Niedersach­sens Ministerpr­äsident und VW-Aufsichtsr­at Stephan Weil rief unterdesse­n in einem Brief die Mitarbeite­r zur Geschlosse­nheit auf. »Bei Volkswagen arbeiten viele hunderttau­send Menschen, die sich jeden Tag mit aller Kraft für das Unternehme­n einsetzen und sehr gute Arbeit leisten«, heißt es in dem einseitige­n Schreiben des SPD-Politikers. »Es ist unerträgli­ch, wenn jetzt das ganze Unternehme­n und damit auch die Beschäftig­ten unter einen Generalver­dacht gestellt werden.«

Die VW-Belegschaf­t ist wegen der erwarteten Milliarden­kosten der Affäre sehr verunsiche­rt und fürchtet um die bislang sicheren Jobs. Weltweit sind bei VW rund 600 000 Menschen beschäftig­t, davon etwa 72 500 am Wolfsburge­r Stammsitz. Mehr als 830 000 Fahrzeuge laufen hier pro Jahr vom Band.

Ein Abteilungs­leiter des Umweltbund­esamtes hat der Bundesregi­erung im Zusammenha­ng mit dem VWSkandal vorgeworfe­n, eine Erhöhung der Sterblichk­eit in Deutschlan­d zu tolerieren. Die Bundesregi­erung habe seit langem gewusst, »dass das, was auf der Straße passiert, nicht mit dem übereinsti­mmt, was im Testbetrie­b passiert«, sagte der Leiter der Abteilung Umwelthygi­ene in der Behörde, Andreas Gies, der SWR-Sendung »Report Mainz«. »Ich denke, dass wir uns klar sein müssen, dass wir eine Erhöhung der Sterblichk­eit tolerieren.«

Die Industriel­lenfamilie Quandt hat im Zuge des Diesel-Skandals durch Kursverlus­te ihrer BMW-Anteile rund 4,5 Milliarden Euro verloren, wie das »Manager Magazin« berichtete. Sie seien aber mit einem Vermögen von 26,5 Milliarden Euro die reichsten Deutschen geblieben.

»Volkswagen hat die Kraft, diese Krise gestärkt hinter sich zu lassen.«

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