VW-Skandal wird zu Merkel-Schelte
Europaabgeordnete empören sich, fordern aber höchst unterschiedliche Konsequenzen
Bei einer Debatte im Europaparlament zum Abgas-Skandal wurden strengere Kontrollen gefordert. Konservative möchten dagegen die Abgasnormen zum Wohle der Autoindustrie entschärfen.
Angela Merkel mit Hitlerbärtchen: Diese Provokation blieb der Kanzlerin im Europaparlament am Dienstag nicht erspart: Der Italiener Gianluca Buonanno von der rechtspopulistischen Lega Nord lüftete während seiner Rede den Pullover, ein T-Shirt mit Merkel-Kopf plus kleinem schwarzen Schnäuzer erschien, darüber geschrieben: »Merkel failed!« Als danach noch der unabhängige Grieche Lampros Fountouis davon sprach, dass Kanzlerin und »deutsches Kapital« auf der einen Seite Europa kaputt diktierten, sich auf der anderen Seite aber mit Betrug die Taschen füllten, hatte das Merkel-Bashing seinen Höhepunkt erreicht.
Dabei ging es gar nicht um Spardiktate oder Griechenland-Kredite, sondern um den VW-Skandal. Die Europaabgeordneten hatten eine Aussprache mit EU-Industrie-Kommissarin Elżbieta Bieńkowska gewünscht. Dem soll eine Parlamentsentschließung gegen Ende Oktober folgen. Merkel-Schelte hat in solchen Papieren natürlich keinen Platz, weshalb auch die Diskussion zumeist beim engeren Thema blieb. Wobei nicht nur radikale Abgeordnete der deutschen Regierung eine Mitschuld an dem Skandal gaben. Rebecca Harms (Grüne) sprach von der »Auto-Kanzlerin« Merkel. Es gebe keinen Bereich, in dem die Bundesregierung die eigene Wirtschaft so sehr schütze wie in der Autobranche. Ferner solle die EU-Kommission zugeben, dass nicht alles so aus heiterem Himmel gefallen sei, wie sie es jetzt darstelle. »Seien Sie nicht naiv«, schleuderte Harms in Richtung Bieńkowska.
In die gleiche Kerbe schlugen auch andere der über 50 Redner. Schon lange habe Brüssel von dem Betrug gewusst. »2014 wiesen Studenten in den USA die Manipulation der VWMotoren nach, aber ich habe hier in Europa nichts davon gehört«, sagte Gesine Meissner (FDP). Wie könne das sein? Der Österreicher Georg Mayer wollte wissen, wem dieser Skandal nütze. Bei Pkw zeigten sich die USA jetzt sehr streng mit den Umweltnormen, ließen aber bei DieselLkw hohe Abgaswerte zu.
Eigentlich alle Redner regten sich über den Skandal auf. Forderungen nach einer zentralen europäischen Kontrollstelle, nach der raschen Einführung neuer Testverfahren und nach umfassender Aufklärung des aktuellen Skandals wurden geäußert. Der Verbraucher sei getäuscht worden, Vertrauen in die Industrie sei verloren gegangen. Die Umwelt habe mehr Schaden durch den Autoverkehr genommen als gedacht.
Mehrere konservative Abgeordnete stellten aber auch die Frage, ob der Skandal nicht ein Zeichen dafür sei, dass die EU-Abgasnormen und EU-Emissionswerte zu ambitioniert seien. Wenn schon ein so großer Konzern wie VW betrügen müsse, um die geforderten Werte einzuhalten, dann sollte man doch an eine Neuformulierung der Ziele denken.
Die EU-Kommissarin hörte sich alles mit versteinerter Miene an. Wohl auch deshalb, weil sie merkte, dass ihre Eingangsworte nicht die beabsichtigte Wirkung erzielt hatten. Bieńkowska hatte auf die Bemühungen der Kommission während der vergangenen zehn Tage verwiesen, Licht in die Affäre zu bringen. Auf die Aussprachen mit den EU-Mitgliedsländern und die Ermahnungen, die nationalen Kontrollbehörden zu besserer Arbeit zu bewegen. Alle Fakten des Skandals müssten auf den Tisch. Dann wolle die EU einen Mechanismus auf den Weg bringen, um solche Skandale in Zukunft zu vermeiden. Eine EU-Kontrollstelle lehnte Bieńkowska aber ab: »Das war bisher die Aufgabe der Mitgliedsstaaten, und wenn wir das jetzt ändern, würden wir viel Vertrauen verspielen.«