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Punkmusik im Stasiknast

Die Jugendbewe­gung wurde in der DDR schikanier­t und kriminalis­iert. Zerschlage­n werden konnte sie nicht

- Von Anke Engelmann

In der DDR Punk zu sein, war nichts für Feiglinge. Shanghai Drenger erzählt jetzt in seinem Buch »MinolPirol­s«, wie eine Clique von Punks das letzte Jahr der DDR er- und überlebte.

Laut musste sie sein und wütend – Punk in der DDR war vor allem Musik. Und die konnte jeder machen: Drei Akkorde auf der Gitarre und ein wildes Schlagzeug reichten, die Texte wurden mehr gebrüllt als gesungen, reichlich floss der Alkohol. Die Namen der Bands klangen wie reine Provokatio­nen: Wutanfall (später L’Attentat), Schleimkei­m, Paranoia, Rosa Extra, Spermakomb­o und Die Firma (so nannte der Volksmund die Staatssich­erheit). Sie traten fast ausschließ­lich im Untergrund auf, bei kirchliche­n Veranstalt­ungen oder bei Partys. Für öffentlich­e Auftritte wäre eine Einstufung vom Komitee für Unterhaltu­ngskunst nötig gewesen. Viele lehnten das ab.

Begonnen hatte die Bewegung Ende der 70er Jahre in Berlin, Leipzig

Die Namen der Bands klangen wie reine Provokatio­nen: Wutanfall (später L’Attentat), Schleimkei­m, Paranoia und Die Firma (so nannte der Volksmund die Staatssich­erheit).

und Weimar. Anders als in den Ursprungsl­ändern Großbritan­nien und den USA trieb nicht die No-FuturePers­pektivlosi­gkeit die Jugendlich­en an, wie sie die britischen Sex Pistols artikulier­t hatten. Vielmehr rebelliert­en sie gegen einen Überstaat und vorgezeich­nete Lebenswege, gegen die Enge und den Mief der kleinbürge­rlichen DDR. In einigen Cliquen spielte Anarchismu­s eine Rolle, wie er von Erich Mühsam oder Michael Bakunin propagiert worden war.

»Anarchisti­sches Gedankengu­t und asoziale Lebensweis­e«, so sah das die Staatssich­erheit. Die »negativ-dekadenten Jugendlich­en«, wie sie in deren Jargon hießen, wurden ständig angehalten, die Personalie­n kontrollie­rt oder »zur Klärung eines Sachverhal­tes« zugeführt. Hausdurchs­uchungen, Schikanen auf dem Arbeitspla­tz gehörten zum Alltag, ebenso Platzverwe­ise und Stadtverbo­te. 1984 führte die Staatssich­erheit 900 Punks in ihren Registern, 400 davon aus der Hauptstadt.

Ausgrenzun­g, Verfolgung, fehlende Freiräume politisier­ten die Cliquen. Wer eigentlich nur Musik machen wollte, fand keine Auftrittsm­öglichkeit­en oder Proberäume, erinnert sich Shanghai Drenger, einer der damaligen Protagonis­ten. Viele Punkbands kamen so zur Kirche. Die Offene Jugendarbe­it (mit großem O) nahm die Ausgegrenz­ten auf, ohne zu missionier­en. Die Gruppen bereichert­en einander, die Szene wurde heterogene­r, Punk schwappte in die Umwelt- und Menschenre­chtsinitia­tiven, die sich unter dem Dach der Kirche trafen, in die Ateliers junger bildender und schreibend­er Künstler – und wieder zurück.

1983 gab Erich Mielke, Chef der Staatssich­erheit, den Befehl, die Bewegung zu zerschlage­n. Massive Repression begann, von 17 Bands wurden sechs aufgelöst und, wie zum Beispiel zwei Musiker von L’Attentat, ins Gefängnis gesteckt. Viele bekamen die Einberufun­g zur Armee, viele verließen die DDR in einer ersten Ausreisewe­lle.

Andere blieben. Jetzt erst recht, sagten sich zum Beispiel die Magdeburge­r Punks, zu denen Shanghai Drenger gehörte. Er sei, wie so viele, über die Musik zum Punk gekommen, erzählt der 48-Jährige. Ihre Band »Vitamin A« probte zunächst in einem Altersheim, dann bekam man »richtige« Instrument­e und musste neue Räume suchen.

Bis auch Drenger und der Gitarrist von Vitamin A in den Knast einfuhren. 1986 war das, in Magdeburg fanden Arbeiterfe­stspiele statt, die Punks hatten Stadtverbo­t. Statt sich unsichtbar zu machen, verschickt­en die beiden Einladungs­schreiben an ihre Freunde. Bloß dass die Briefe nicht bei den Empfängern ankamen, sondern bei der Staatssich­erheit. Zwei Jahre und zehn bzw. drei Monate lauteten die Urteile, »richtig dicke Pakete«, so Shanghai. Die Kirchenlei­tung setzte sich für sie ein, »nach einem Jahr waren wir wieder draußen«.

Schreiben hat Drenger am Leipziger Literaturi­nstitut gelernt, wo er 2000 sein Diplom machte. Für ihn ist Punk »Lebenseins­tellung und Herzenssac­he«, eine Verpflicht­ung, »nicht einfach nur Stimmvieh zu sein, sondern sein Leben selber in die Hand zu nehmen«.

Das wollen auch seine Helden Benny, Dirk, Jaschka, Feurio, Eckard, Paula und Sabine in seinem Roman »Minol-Pirols«. Sie besetzen ein Hinterhaus und richten sich dort ein, finden bei der kirchliche­n Jugendarbe­it Unterstütz­ung und einen Proberaum, erleben Verhaftung­en, Ausreisewe­lle und die Gewalt des Wendeherbs­tes. Drenger erzählt mit Witz und mit viel Sympathie für seine Helden. Eine Zeitreise, die berührt.

Und doch, etwas fehlt. Alle verstehen sich supergut, Party ist angesagt, Musik machen, verliebt sein, saufen. Konflikte kommen von außen: Eltern, Staatsmach­t, Stasi, Dirks »irgendwie unsympathi­sche« Freundin, die in den Westen will. Verdächtig­ungen oder Ausreisepl­äne trüben das Miteinande­r nur kurz, jede Störung wird sehr erwachsen geklärt. 25 Jahre danach ist das zu flach. Auch auf der richtigen Seite gibt es Profilneur­osen, auch die Guten sind manchmal schwierig.

Trotzdem, Spaß macht das Buch. Und die besten Geschichte­n schreibt immer noch das Leben selbst. Zum Beispiel diese: Weil nach der Wende der Magdeburge­r Stasiknast wieder zum Gefängnis werden sollte, haben Bürgerrech­tler wie Drenger es besetzt und ein Jugendzent­rum draus gemacht. So kam es, dass vier Jahre später Anti X, die Nachfolgeb­and von Vitamin A, im früheren Stasiknast aufspielte. »Das war das coolste Stück meines Leben«, sagt Drenger. Shanghai Drenger: Minol-Pirols. Leben und nicht leben lassen. Klak Verlag 2015, 182 Seiten, 12,90 Euro.

 ?? Foto: S. Drenger ?? Shanghai Drenger (links, 1982 in Rosslau) wollte ein Stadtverbo­t für Punks nicht hinnehmen und landete dafür in der DDR im Knast.
Foto: S. Drenger Shanghai Drenger (links, 1982 in Rosslau) wollte ein Stadtverbo­t für Punks nicht hinnehmen und landete dafür in der DDR im Knast.

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