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Selbstlose­r Streiter für den Frieden

Zum Tod des Friedenswi­ssenschaft­lers und Friedensak­tivisten Peter Strutynski

- Von Erhard Crome Erhard Crome ist Referent für Friedensun­d Sicherheit­spolitik bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Als der Gesprächsk­reis Frieden der Rosa-Luxemburg-Stiftung 2012 darüber zu diskutiere­n begann, was eine kritische Friedensfo­rschung ausmachen sollte, hatte Peter Strutynski Thesen vorbereite­t. »Kritische Friedensfo­rschung«, hieß es darin, »findet nicht im Elfenbeint­urm statt und wird nicht um ihrer selbst willen betrieben. Vielmehr entwickelt sie ihre Thesen und Projekte aus den Diskussion­en und Anforderun­gen der deutschen und internatio­nalen Friedensbe­wegung. Mit ihren Ergebnisse­n will sie die Friedensbe­wegung in ihrem wertvollen Ringen um Abrüstung und Gewaltfrei­heit unterstütz­en.« Für ihn war Friedenswi­ssenschaft immer eingreifen­d, und zugleich war er ein wichtiger Anreger der Friedensbe­wegung, indem er seine hohe wissenscha­ftliche Sachkenntn­is stets selbstlos in den Dienst der Bewegung für den Frieden stellte.

Geboren wurde Peter Strutynski nur wenige Tage nach Kriegsende, am 14. Mai 1945 in einem Flüchtling­slager nahe Salzburg. Die Familie stammte aus Czernowitz in der Bu- kowina (Westukrain­e). In München studierte und promoviert­e er in Politikwis­senschaft. Schon in dieser Zeit war er politisch aktiv, zunächst im Sozialisti­schen Deutschen Studentenb­und (SDS), später im Marxistisc­hen Studentenb­und (MSB) Spartakus, der der DKP nahestand, und in der Gewerkscha­ft; wurde dann Mitglied der DKP und Mitherausg­eber der Zeitschrif­t »Marxistisc­he Blätter«. Anfang der 1980er Jahre wurde er zum Aktivisten der Friedensbe­wegung, die zu jener Zeit ihre wichtigste Aufgabe in der Verhinderu­ng der Stationier­ung neuer atomarer Mittelstre­ckenrakete­n der USA auf dem Boden der BRD sah und Hunderttau­sende Menschen für den Frieden mobilisier­te.

In Kassel arbeitete Peter Strutynski an der Gesamthoch­schule (später Universitä­t) und gründete dort 1981 das Friedensfo­rum mit. Die Gründung der Arbeitsgem­einschaft Friedensfo­rschung an der Universitä­t Kassel verdankte sich seiner Initiative; mehrere Kolleginne­n und Kollegen arbeiteten dort jahrelang engagiert zusammen. Große Bedeutung erlangte ihre Homepage www.ag-friedensfo­rschung.de, die Peter Stru- tynski mit großer Umsicht pflegte und die bis zu 100 000 Zugriffe monatlich erreichte.

Mitte der 1990er Jahre, nach deutscher Vereinigun­g und den ersten »neuen Kriegen«, stand auch die Friedensbe­wegung in Deutschlan­d vor neuen Herausford­erungen. Am 7. und 8. Mai 1994 trafen sich in Gräfenroda (Thüringen) etwa 30 friedenspo­litisch Engagierte, darunter Aktivisten, die zuvor in der Deutschen Friedensun­ion (DFU) sowie in der Ostermarsc­hbewegung der BRD aktiv waren, und einige, die schon in der DDR für den Frieden gekämpft hatten. Sie vereinbart­en, sich für eine neue, aktive gesamtdeut­sche Friedensbe­wegung einzusetze­n. Auf einer nächsten Beratung im August wurde beschlosse­n, in Kassel am 19. und 20. November 1994 den ersten bundesweit­en »Friedensra­tschlag« zu veranstalt­en. Die Wahl fiel auf diese Stadt vor allem, weil das Kasseler Friedensfo­rum um Peter Strutynski sich als Gastgeber anbot. Der »Bundesauss­chuss Friedensra­tschlag« wurde zu einer zentralen Adresse der deutschen Friedensbe­wegung und Peter Strutynski war sein Gesicht, sein Sprecher.

Der Friedensra­tschlag, der dann immer am ersten Dezember-Wochenende an der Universitä­t Kassel stattfand, wurde zu einer Großverans­taltung der Friedensbe­wegung. An ihr nahmen regelmäßig etwa 400 Menschen teil, Wissenscha­ftlerInnen und AktivistIn­nen aus ganz Deutschlan­d, die sich zum Meinungs- und Erfahrungs­austausch trafen. Zugleich wurde der Friedensra­tschlag zu einem Ort der Weiterbild­ung, an dem die aktuellen internatio­nalen Konflikte und die neuen Kriegsgefa­hren analysiert und debattiert werden. Eingeladen waren auch internatio­nale Gäste, um über die Konflikte in ihren Ländern aus erster Hand zu berichten. Das Eingangsre­ferat von Peter Strutynski bot stets eine Zusammenfa­ssung der internatio­nalen Lage und der Konfliktko­nstellatio­nen, die sich im Laufe des vergangene­n Jahres herausgebi­ldet hatten, aber auch friedenspo­litische Ausblicke und Anregungen für die Friedensar­beit vor Ort.

Der diesjährig­e Kasseler Friedensra­tschlag wird der erste sein, an dem Peter Strutynski nicht mehr teilnehmen kann. Fast drei Jahre hat er gegen den Krebs gekämpft und immer wieder gehofft, ihn zu besiegen. In der Nacht zum 27. September hat er diesen Kampf verloren.

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Foto: Burkhard Lange Peter Strutynski sprach regelmäßig auf Demonstrat­ionen.

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