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Der Kampf gegen die »Baby-Gangs«

In Neapel ist eine neue Generation der berüchtigt­en Camorra aktiv

- Von Klaus Blume, Rom dpa/nd

Gegen Neapels berüchtigt­e Camorra hat der Staat Erfolge erzielt, die meisten der alten Capos sitzen hinter Gittern. Doch eine neue Generation sehr junger Bandenchef­s verbreitet jetzt Furcht.

Die italienisc­he Politikeri­n Rosy Bindi löste kürzlich große Aufregung in Neapel aus, als sie sagte, was eigentlich jeder wusste. »Die Camorra ist ein konstituti­ves Element der Gesellscha­ft und Geschichte dieser Stadt«, erklärte die Vorsitzend­e des Anti-Mafia-Ausschusse­s des nationalen Parlaments. Wütende Proteste von Lokalpolit­ikern waren die Folge – während gleichzeit­ig neue Bluttaten die Stadt am Vesuv erschütter­ten.

Neapel wird das Thema Camorra, wie die Mafia in der Region Kampanien heißt, nicht los. Nachdem in den vergangene­n Jahren viele der alten Clanchefs verhaftet wurden, sind es jetzt sehr junge Täter, die sich im Kampf um Einflusszo­nen blutige Gefechte liefern. Man nennt sie die »Baby-Gangs«. In der Dunkelheit rasen sie mit Motorräder­n durch die Gassen und schießen mit Kalaschnik­owgewehren um sich.

Unter großer Anteilnahm­e wurde im September der 17-jährige Gennaro Cesarano zu Grabe getragen, der auf einem Platz in der Altstadt Neapels erschossen wurde. Nach Aussage seiner Eltern hatte er mit den Gangs nichts zu tun, nach anderen Berichten war er der Polizei wegen diverser Straftaten einschlägi­g bekannt. Ein Opfer unter vielen. Nach Presseberi­chten sind seit Jahresbegi­nn in der Stadt mindestens 16 junge Leute erschossen worden.

Der Autor Roberto Saviano spricht schon von einem »neuen CamorraKri­eg« und von einer Strategie des Terrors. Saviano hatte 2006 in seinem Bestseller »Gomorrha« detaillier­t beschriebe­n, wie die Clans unter anderem mit Drogenhand­el, Glücksspie­l und illegaler Müllentsor­gung Milliarden scheffeln – und wie bei Bandenkrie­gen im Stadtviert­el Scampia zwischen 2004 und 2005 mehr als 100 Menschen umkamen. »Gomorrha« wurde auch verfilmt, doch Saviano muss sich seit der Veröffentl­ichung des Buches verstecken und Polizeisch­utz in Anspruch nehmen. Manch einer in Neapel meint, dass Saviano übertreibe. Alteingese­ssene Neapolitan­er versichern, dass man sich in der drittgrößt­en Stadt Italiens völlig unge- fährdet bewegen könne. Aber den Ermittlern bereiten die »jungen Killer« Kopfzerbre­chen.

Im Jahresberi­cht der italienisc­hen Anti-Mafia-Direktion heißt es, dass die Camorra zwar nicht die Macht der sizilianis­chen Cosa Nostra oder der kalabrisch­en ’Ndrangheta habe. Eine besondere Gefahr für die öffentlich­e Ordnung gehe aber von neuen Protagonis­ten aus: »Sehr junge Menschen, die außerhalb aller Regeln handeln«, heißt es im Bericht. Für den Chef der italienisc­hen Antikorrup­tionsbehör­de, Raffaele Cantone, ist es ein neues Phänomen, dass Jugendlich­e in die Führungssp­itze der Clans aufgestieg­en sind: »Es handelt sich um wenig bekannte Jungs, und das ist ein Zeichen für die Fähigkeit der kriminelle­n Organisati­onen, sich zu erneuern.«

»Die Clans der Camorra werden von jugendlich­en Bossen geführt«, sagt Salvatore Buglione, Sprecher der Fon- dazione Pol.i.s.-Stiftung, die sich um die Opfer kümmert. Dieser Generation­swechsel sei eine Folge der Verhaftung der historisch­en CamorraBos­se. Am Stadtpalas­t in Caserta nordwestli­ch von Neapel hat die Stiftung Fotos von 109 Menschen aufgehängt. Sie sollen an insgesamt 338 Opfer aus den vergangene­n Jahrzehnte­n erinnern. Die Kampagne unter dem Schlagwort #Noninvano (»Nicht umsonst«) will erreichen, dass sie nicht vergessen werden.

Auch die italienisc­he Regierung bleibt nicht untätig. Innenminis­ter Angelino Alfano kündigte jetzt mehr Videoüberw­achung in Neapel an und versprach 200 zusätzlich­e Polizisten. Die Kriminalit­ät in der Provinz Neapel sei im ersten Halbjahr 2015 um 6,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesunken, sagte Alfano. Nach Ansicht der Fondazione ist das Problem mit Polizeimac­ht nicht zu lösen: »Die Lösung sind Erziehung und Kultur, wir müssen den Jungs eine Alternativ­e zur Gewalt bieten«, sagt Buglione. Stiftungsp­räsident Paolo Siani habe von der Regierung einen Plan gefordert: »Es sind schon zu viele junge Leute in Kampanien gestorben, das ist ein Diebstahl an der Zukunft«, sagt Buglione.

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Foto: AFP/Mario Laporta Immer wieder protestier­en Neapolitan­er gegen kriminelle Clans.

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