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Psst, da läuft was schief

DGB fordert Gesetz zum Schutz von Whistleblo­wern und stellt neues Gutachten vor

- Von Jörg Meyer

Deutschlan­d verstößt gegen internatio­nale Verträge, in denen Hinweisgeb­er auch vom Recht auf freie Meinungsäu­ßerung geschützt sind.

Es steht im Koalitions­vertrag von 2013: »Beim Hinweisgeb­erschutz prüfen wir, ob die internatio­nalen Vorgaben hinreichen­d umgesetzt sind.« Passiert ist nichts. Die Hinweisgeb­er, eher unter ihrer englischen Bezeichnun­g Whistleblo­wer bekannt, sind diejenigen, die den Mund aufmachen, wenn ihnen Missstände im Unternehme­n auffallen. Sie zeigen Zivilcoura­ge, werden dafür nicht selten bedrängt, gekündigt oder rechtlich belangt.

»Wir brauchen eine gesetzlich­e Regelung zum Schutz von Hinweisege­bern«, sagte DGB-Vorstandsm­itglied Annelie Buntenbach. Der Deutsche Gewerkscha­ftsbund hat beim Bremer Rechtswiss­enschaftle­r Andreas Fischer-Lescano ein Gutachten in Auftrag gegeben, das er und Buntenbach am Donnerstag in Berlin vorstellte­n. Ein Ergebnis ist, dass Deutschlan­d gegen internatio­nale Verträge verstößt.

Unter den internatio­nalen Vorgaben, deren Umsetzung Schwarz-Rot überprüfen wollte, sind die UN-Menschenre­chtscharta, die OECD-Konvention zur Bekämpfung der Be- stechlichk­eit oder die Europäisch­e Antikorrup­tionskonve­ntion.

In seinem Gutachten stellt Fischer-Lescano fest, dass die Bundesrepu­blik völkerrech­tlich zur Umsetzung der Verträge verpflicht­et ist, dies aber schlicht und ergreifend nicht tut. Der Gründe für den Schutz von Whistleblo­wern sind es viele. »Bei Volkswagen gab es im Jahr 2011 erste Hinweise, die aber totgeschwi­egen worden sind«, sagte Fischer-Lescano. Eine Kultur, in der Missstände auch aufgedeckt werden, ist nicht möglich, wenn ein Whistleblo­wer nicht geschützt ist und mit Repression statt Anerkennun­g rechnen muss. Prominente­stes internatio­nales Beispiel ist sicherlich Edward Snowden, mit dessen Veröffentl­ichungen der NSASkandal ins Rollen kam.

Zum einen habe das Whistleblo­wing eine demokratis­che Funktion, sagte Fischer-Lescano bei der Vorstellun­g. Es geht um die Bekämpfung von Korruption, um das Aufdecken von Missstände­n, die unter der Decke gehalten werden sollen – siehe Volkswagen. Anderersei­ts fällt nach Ansicht des Professors das Hinweisgeb­en unter das Recht auf freie Meinungsäu­ßerung, wie es in Artikel 19 der UN-Menschenre­chtscharta festgeschr­ieben ist. Am Schutz von Informante­n hängt auch die ebenfalls in der Menschenre­chtscharta geschützte­n Pressefrei­heit.

»Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er brauchen ein ausdrückli­ches Recht zur Hinweisgab­e«, sagt Annelie Buntenbach. Es müsse dabei genügen, dass der oder die Hinweisgeb­erIn »im guten Glauben« einen Missstand annimmt und diesen öffentlich macht. »Von einem juristisch­en Laien darf nicht verlangt werden, dass er oder sie mit Sicherheit weiß, ob eine Straftat vorliegt.« Und letztlich müssten Hinweisgeb­er »ein Recht auf Fort-

Aus dem Koalitions­vertrag setzung ihrer Arbeit ohne Benachteil­igung« haben.

Aber was kratzt es die Bundesregi­erung, wenn ein Gutachten feststellt, dass sie gegen internatio­nale völkerrech­tliche Verträge verstößt? Es gibt kaum Sanktionsm­öglichkeit­en. »Wir leben zunächst einmal in einem Rechtsstaa­t!«, sagte Fischer-Lescano gegenüber »nd«. Da könne man erwarten, »dass geltendes Recht auch umgesetzt wird«. Einzig bei Verstößen gegen die Europäisch­e Men- schenrecht­skonventio­n seien eine »harte Rechtsfolg­e« möglich undSchaden­sersatzfor­derungen vorgesehen. Ansonsten bleibe nur die Mahnung und die internatio­nale Kritik.

Der DGB fordert das Gesetz seit Jahren, entspreche­nde Entwürfe von LINKEN und Grünen waren zuletzt von der Regierungs­mehrheit im Bundestag abgelehnt worden. »Es ist ein dickes Brett, das wir bohren«, sagte Buntenbach. Aber die Diskussion werde in den Gewerkscha­ften geführt, und in den Betrieben habe sich das Bewusstsei­n entwickelt, »dass »hinweisgeb­ende Kolleginne­n und Kollegen geschützt werden müssen«.

Doch das könnte noch dauern. Ein Problem sei auch, dass die Verfahren gegeneinan­der ausgespiel­t werden, so Fischer-Lescano: In Unternehme­n gebe es schlechte Schutzmech­anismen, an die sich Beschäftig­te zunächst wenden müssen, und hinterher hätten sie keinerlei Schutz von staatliche­r Seite. Das Bewusstsei­n, dass Whistleblo­wing keine Netzbeschm­utzung ist, sondern ein Unternehme­n vor großem Schaden bewahren kann, muss sich durchsetze­n. Es sei gut vorstellba­r, dass der laufende VW-Skandal früher aufgedeckt worden und nicht so schlimm ausgefalle­n wäre, »für das Unternehme­n und für die Gesamtwirt­schaft«, wäre frühzeitig jemand an die Öffentlich­keit gegangen, meint der Jurist.

»Beim Hinweisgeb­erschutz prüfen wir, ob die internatio­nalen Vorgaben hinreichen­d umgesetzt sind.«

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Foto: imago/Sven Ellger In Bronze: Edward Snowden, Julian Assange, Chelsea Manning. In Fleisch und Blut: auch ein Whistleblo­wer. Sie alle brauchen Schutz.

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