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Zu viel Stress, zu wenig Lohn

- Von Simon Poelchau

Zwölf Prozent – so groß ist der durchschni­ttliche Kostenvort­eil der deutschen Wirtschaft im Durchschni­tt gegenüber dem Rest der Eurozone, wie das gewerkscha­ftsnahe Institut für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung am Donnerstag mitteilte. Die Lohnsteige­rungen der letzten Monate waren also bei weitem nicht so hoch, dass sie die internatio­nale Wettbewerb­sfähigkeit der hiesigen Wirtschaft auch nur marginal gefährden könnten.

Und dieser Vorsprung zeigt sich massiv in den Exportzahl­en der Bundesrepu­blik: Während die Binnennach­frage hierzuland­e seit der Jahrtausen­dwende preisberei­nigt gerade einmal um zehn Prozent zulegte, haben sich die Ausfuhren im selben Zeitraum mehr als verdoppelt. Diese Entwicklun­g ging auch zu Lasten der restlichen Eurozone. Diverse Ökonomen gehen davon aus, dass Deutschlan­d mit seiner Exportfixi­ertheit seine Nachbarn kaputt konkurrier­te, die Währungsun­ion destabilis­ierte und so Mitschuld am Ausbruch der Eurokrise hat.

Doch die Exportfixi­ertheit hat auch in heimischen Gefilden negative Folgen.Was nämlich niedrige Arbeits- und Lohnstückk­osten für die Industrie bedeutet, ist für die Beschäftig­ten eine nur spärlich gefüllte Lohntüte.

Mit durchschni­ttlich 31,90 Euro pro Stunde liegen die Arbeitskos­ten hierzuland­e in der Privatwirt­schaft trotz guter Konjunktur europaweit nur im oberen Mittelfeld, wie das IMK berechnete. Zwar verdient man bei Arbeitskos­ten von 37 Euro im verarbeite­nden Gewerbe hierzuland­e noch recht gut. Doch ist der Abstand zwischen den Löhnen plus Nebenkoste­n in der Industrie und im Dienstleis­tungssekto­r nirgendswo sonst in der EU so groß wie in Deutschlan­d. 7,90 Euro oder 21 Prozent verdienten die Angestellt­en im Dienstleis­tungssekto­r Ende 2014 weniger als ihre Kollegen im verarbeite­nden Gewerbe. Und dadurch profitiert die exportorie­ntierte Industrie gewaltig: Die Kosteneins­parungen auf Grund des Lohndumpin­gs werden auf rund zehn Prozent geschätzt. Inwieweit der Anfang des Jahres eingeführt­e Mindestloh­n diesen Effekt eindämmt, ist indes noch nicht auszumache­n.

Zumal es für die Arbeitgebe­r noch einen anderen Weg gibt, die Profite zu maximieren, wenn der Lohndrücke­rei Grenzen gesetzt werden. Sie versuchen dann, so viel wie möglich aus ein und derselben Arbeitsstu­nde herauszuqu­etschen. Arbeitsver­dichtung heißt da das Zauberwort. Immer mehr muss in immer weniger Zeit geleistet werden. Kein Wunder also, dass die Angestellt­en oft an den Rand ihrer Leistungsf­ähigkeit gedrängt werden. So ergab eine erst kürzlich im Auftrag der Dienstleis­tungsgewer­kschaft ver.di durchgefüh­rte Umfrage, dass mehr als zwei Drittel aller Angestellt­en unter hoher Arbeitsbel­astung leiden. Mehr als ein Fünftel fühlt sich sogar überforder­t.

Das deutsche Exportwund­er basiert also auf zwei Voraussetz­ungen: zu wenig Lohn und zu viel Stress am Arbeitspla­tz.

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