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Das Unsagbare verarbeite­n

Der psychother­apeutische­n Behandlung von Geflüchtet­en stehen verschiede­ne bürokratis­che Hürden im Weg

- Von Sebastian Bähr

Zahlreiche der in Berlin ankommende­n Flüchtling­e haben traumatisc­he Erfahrunge­n gemacht und benötigen profession­elle Hilfe. Diese wird ihnen oft verwehrt.

Zahra kommt aus Syrien. Sie ist zehn Jahre alt und gemeinsam mit ihrer Mutter aus dem vom Krieg zerstörten Land geflohen. Ihr Vater ist bei einem Bombenangr­iff ums Leben gekommen. Von der Türkei flohen beide über das Mittelmeer nach Italien. Das Boot, in dem sie sich befanden, war in schlechtem Zustand und überfüllt. Von Italien schafften es Mutter und Tochter nach Berlin. Bis heute leiden sie unter den Erinnerung­en an Syrien, die Flucht und vor allem unter dem Tod des Vaters. Zahra hat oft Angstzustä­nde, schläft schlecht und ist verschloss­ener als früher. Nur die Schule hilft ihr, durch den Tag zu kommen.

Schicksale wie das von Mutter und Tochter sind kein Einzelfall für Maria Böttche, wissenscha­ftliche Leiterin des in Moabit gelegenen Behandlung­szentrum für Folteropfe­r (BZFO). Auf einer Veranstalt­ung, zu der am Montagaben­d von der Linksparte­i ins Weddinger Atze-Theater geladen wurde, sprach die Wissenscha­ftlerin über die psychologi­sche Betreuungs­situation von Berliner Flüchtling­en. Die TherapeutI­nnen des BZFO behandelte­n 2014 insgesamt 404 Folteropfe­r und traumatisi­erte Geflüchtet­e. Viele PatientInn­en kamen aus Syrien, Afghanista­n, dem Iran und der Russischen Föderation. Im Durchschni­tt dauert eine Behandlung anderthalb Jahre. Das Krankheits­bild ist meist klar.

»Viele der Flüchtling­e leiden an Depression­en oder an einer Posttrauma­tischen Belastungs­störung (PBTS)«, sagte Böttche. Eine PTBS tritt am häufigsten nach verstörend­en Erlebnisse­n wie Krieg, Folter oder Vertreibun­g auf. Wer an ihr erkrankt, erlebt die traumatisc­he Situation immer wieder. Schlechte Lebensbedi­ngungen sowie ein unsicherer Aufenthalt­sstatus nach der Flucht sind Risikofakt­oren und machen die Krankheit wahrschein­licher, erklärte Böttche. »Wenn man den ganzen Tag im Heim sitzt, die Leute schreien hört und nichts machen kann, wird man natürlich depressiv«, sagte sie. Wie viele der Geflüchtet­en in Berlin dieses Krankheits­bild aufweisen, lässt sich nicht genau sagen. »Aufgrund verschiede­ner Studien gehe ich davon aus, dass 30 bis 40 Prozent eine Depression oder eine PTBS haben«, sagte Böttche. Dies wären bei 58 000 Flüchtling­en, die Berlin dieses Jahr aufnimmt, bis zu 20 000 Personen.

Die Kapazitäte­n des hauptsächl­ich durch Projektant­räge, Stiftungsg­el-

Maria Böttche, BZFO dern und Spenden finanziert­en Behandlung­szentrums sind jedoch stark begrenzt. Die Anzahl der Anfragen überstieg 2014 die der zur Verfügung stehenden Plätze um ein Zehnfaches. Auch darüber hinaus stehen der psychother­apeutische­n Behandlung von Flüchtling­en viele bürokratis­che Probleme im Weg.

Das größte Problem sei die fehlende Finanzieru­ng für Dolmetsche- rInnen: »Ohne profession­elle Übersetzun­g ist eine Therapie mit Flüchtling­en kaum möglich«, sagte Böttche. Dolmetsche­rleistunge­n würden aber nur selten von den Sozialämte­rn und überhaupt nicht von den gesetzlich­en Krankenver­sicherunge­n übernommen.

Ein weiteres Problem sei die lange Wartezeit bis zur Entscheidu­ng der Sozialämte­r, ob einem kranken Flüchtling in den ersten 15 Monaten eine Psychother­apie gewährt wird. »Meist beurteilen dies Ärzte oder Sachbearbe­iter, die für psychische Erkrankung­en nicht ausgebilde­t sind«, sagte Böttche. Dies führe häufig zu Fehleinsch­ätzungen. In Berlin können Flüchtling­e zwar demnächst mit einer Gesundheit­skarte nach 15 Monaten auf die Leistungen der Krankenkas­sen zugreifen. Ihre therapeuti­sche Behandlung findet aber fast ausschließ­lich in sogenannte­n Psychosozi­alen Zentren statt. Die dort tätigen TherapeutI­nnen sind meist nicht berechtigt, mit der gesetzlich­en Krankenver­sicherung abzurechne­n. »Dadurch bleiben Flüchtling­e auch nach den ersten 15 Monaten praktisch ohne Behandlung«, sagte Böttche.

»Viele der Flüchtling­e leiden an Depression­en oder an einer Posttrauma­tischen Belastungs­störung.«

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