Das Unsagbare verarbeiten
Der psychotherapeutischen Behandlung von Geflüchteten stehen verschiedene bürokratische Hürden im Weg
Zahlreiche der in Berlin ankommenden Flüchtlinge haben traumatische Erfahrungen gemacht und benötigen professionelle Hilfe. Diese wird ihnen oft verwehrt.
Zahra kommt aus Syrien. Sie ist zehn Jahre alt und gemeinsam mit ihrer Mutter aus dem vom Krieg zerstörten Land geflohen. Ihr Vater ist bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen. Von der Türkei flohen beide über das Mittelmeer nach Italien. Das Boot, in dem sie sich befanden, war in schlechtem Zustand und überfüllt. Von Italien schafften es Mutter und Tochter nach Berlin. Bis heute leiden sie unter den Erinnerungen an Syrien, die Flucht und vor allem unter dem Tod des Vaters. Zahra hat oft Angstzustände, schläft schlecht und ist verschlossener als früher. Nur die Schule hilft ihr, durch den Tag zu kommen.
Schicksale wie das von Mutter und Tochter sind kein Einzelfall für Maria Böttche, wissenschaftliche Leiterin des in Moabit gelegenen Behandlungszentrum für Folteropfer (BZFO). Auf einer Veranstaltung, zu der am Montagabend von der Linkspartei ins Weddinger Atze-Theater geladen wurde, sprach die Wissenschaftlerin über die psychologische Betreuungssituation von Berliner Flüchtlingen. Die TherapeutInnen des BZFO behandelten 2014 insgesamt 404 Folteropfer und traumatisierte Geflüchtete. Viele PatientInnen kamen aus Syrien, Afghanistan, dem Iran und der Russischen Föderation. Im Durchschnitt dauert eine Behandlung anderthalb Jahre. Das Krankheitsbild ist meist klar.
»Viele der Flüchtlinge leiden an Depressionen oder an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PBTS)«, sagte Böttche. Eine PTBS tritt am häufigsten nach verstörenden Erlebnissen wie Krieg, Folter oder Vertreibung auf. Wer an ihr erkrankt, erlebt die traumatische Situation immer wieder. Schlechte Lebensbedingungen sowie ein unsicherer Aufenthaltsstatus nach der Flucht sind Risikofaktoren und machen die Krankheit wahrscheinlicher, erklärte Böttche. »Wenn man den ganzen Tag im Heim sitzt, die Leute schreien hört und nichts machen kann, wird man natürlich depressiv«, sagte sie. Wie viele der Geflüchteten in Berlin dieses Krankheitsbild aufweisen, lässt sich nicht genau sagen. »Aufgrund verschiedener Studien gehe ich davon aus, dass 30 bis 40 Prozent eine Depression oder eine PTBS haben«, sagte Böttche. Dies wären bei 58 000 Flüchtlingen, die Berlin dieses Jahr aufnimmt, bis zu 20 000 Personen.
Die Kapazitäten des hauptsächlich durch Projektanträge, Stiftungsgel-
Maria Böttche, BZFO dern und Spenden finanzierten Behandlungszentrums sind jedoch stark begrenzt. Die Anzahl der Anfragen überstieg 2014 die der zur Verfügung stehenden Plätze um ein Zehnfaches. Auch darüber hinaus stehen der psychotherapeutischen Behandlung von Flüchtlingen viele bürokratische Probleme im Weg.
Das größte Problem sei die fehlende Finanzierung für Dolmetsche- rInnen: »Ohne professionelle Übersetzung ist eine Therapie mit Flüchtlingen kaum möglich«, sagte Böttche. Dolmetscherleistungen würden aber nur selten von den Sozialämtern und überhaupt nicht von den gesetzlichen Krankenversicherungen übernommen.
Ein weiteres Problem sei die lange Wartezeit bis zur Entscheidung der Sozialämter, ob einem kranken Flüchtling in den ersten 15 Monaten eine Psychotherapie gewährt wird. »Meist beurteilen dies Ärzte oder Sachbearbeiter, die für psychische Erkrankungen nicht ausgebildet sind«, sagte Böttche. Dies führe häufig zu Fehleinschätzungen. In Berlin können Flüchtlinge zwar demnächst mit einer Gesundheitskarte nach 15 Monaten auf die Leistungen der Krankenkassen zugreifen. Ihre therapeutische Behandlung findet aber fast ausschließlich in sogenannten Psychosozialen Zentren statt. Die dort tätigen TherapeutInnen sind meist nicht berechtigt, mit der gesetzlichen Krankenversicherung abzurechnen. »Dadurch bleiben Flüchtlinge auch nach den ersten 15 Monaten praktisch ohne Behandlung«, sagte Böttche.
»Viele der Flüchtlinge leiden an Depressionen oder an einer Posttraumatischen Belastungsstörung.«