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Bis aufs Blut gestritten

Bei der Landtagsde­batte zur Kreisgebie­tsreform sind Abgeordnet­e persönlich geworden

- Von Wilfried Neiße

Viele Kommunen sind hoch verschulde­t. Es muss sich etwas ändern. Aber was geschehen soll, darüber herrscht keine Einigkeit – auch nicht im Landtag.

Die Debatte zur geplanten Kreisgebie­tsreform geriet im Landtag am Donnerstag zwischenze­itlich zu einem sehr persönlich­en verbalen Schlagabta­usch. »Das ist unter aller Sau«, reagierte Hans-Jürgen Scharfenbe­rg (LINKE) auf eine wiederholt­e Kurzinterv­ention des Abgeordnet­en Christoph Schulze (Freie Wähler). Scharfenbe­rg wurde von Schulze als »Wendehals« beschimpft. Zuvor war Scharfenbe­rg vom Rednerpult aus zum »Du, Christoph« übergegang­en und er hatte Schulze vorgeworfe­n, das Recht auf Kurzinterv­ention zu einer Veränderun­g der Debattenor­dnung zu missbrauch­en.

Ursula Nonnenmach­er (Grüne) ließ den Abgeordnet­en Schulze wissen: »Die Rolle des Volkstribu­ns ist in der Geschäftso­rdnung des Landtags nicht vorgesehen.« Doch Vizelandta­gspräsiden­t Dieter Dombrowski (CDU) stellte klar, dass die geltenden Regeln keine Beschränku­ng der Zahl der Kurzinterv­entionen kennen. »Wenn Sie das nicht wollen, dann ändern Sie die Geschäftso­rdnung.«

Ausgangspu­nkt der Streitigke­iten: Scharfenbe­rg hatte unterstric­hen, dass die nach wie vor ergebnisof­fene Diskussion zu einer Neuglieder­ung der Landkreise in einer Offenheit und Transparen­z stattfinde, wie das zuvor völlig unbekannt gewesen sei. Der CDU-Abgeordnet­en Barbara Richstein hatte er angelastet, sie nähere sich dem Thema oberflächl­ich und maße sich eine »Schiedsric­hterrolle« an. »Ich habe von Frau Richstein keine Argumente gehört«, bedauerte Scharfenbe­rg. Er lobte die von Innenminis­ter Karl-Heinz Schröter (SPD) »tapfer durchgesta­ndenen« 18 Diskussion­sveranstal­tungen. Leider haben daran größtentei­ls nur Beschäftig­te von Kommunalve­rwaltungen und Landeseinr­ichtungen teilgenomm­en. Es sei nicht gelungen, das Interesse der Bürger zu erregen. Den definitive­n Beschluss der kreisfreie­n Städte gegen eine »Einkreisun­g«, also eine Fusion mit den umliegende­n Landkreise­n, nannte Scharfenbe­rg einen großen Fehler. Er forderte die Kommunalpo­litiker auf, sich mit dem Thema auseinande­rzusetzen, statt sich zu verweigern. Wenn eine Reform stattfinde, müsse sie »mit Augenmaß und einem hohen Maß an Freiwillig­keit« erfolgen.

Ministerpr­äsident Dietmar Woidke (SPD) erinnerte daran, dass die Opposition­spartei CDU vor fünf Jahren einen Änderungsb­edarf erkannt habe und heute davon nichts mehr wissen wolle. »Ist der Reformbeda­rf verschwund­en?« Es sei unlauter, den Leuten »vorgaukeln zu wollen, dass alles so bleiben kann, wie es ist.«

Christoph Schulze erklärte in einer seiner vielen Kurzinterv­entionen, es sei »völlig gleichgült­ig«, was im Landtag debattiert werde und auch, was der Städte- und Gemeindebu­nd zu der geplanten Reform sage. An die Regierungs­parteien SPD und LINKE gewandt versichert­e Schulze: »Es wird passieren, was Ihre Parteitage beschließe­n«, auch wenn 75 Prozent der Brandenbur­ger gegen diese Reform seien, auch wenn die von Politikern der SPD und der Linksparte­i beherrscht­e Kreisebene sich dagegen ausgesproc­hen habe. Was hier geschehe, sei ein »fulminante­r Wahlbetrug«, auch wenn das »bis aufs Blut« abgestritt­en werde.

Die CDU-Abgeordnet­e Richstein unterstell­te den Regierungs­parteien pauschal Konzeption­slosigkeit und die Absicht, die Reform über die Köpfe der Kommunen hinweg durchzudrü­cken. Ihr leuchte nicht ein, sagte Richstein, weshalb die geforderte Mindestein­wohnerzahl für kreisfreie Städte genauso groß sein solle wie für künftige Kreise. Wenn die LINKE die Zielzahl von 175 000 auf 150 000 herabsetze­n wolle, dann sei die eine Zahl so willkürlic­h wie die andere.

Innenminis­ter Schröter betonte, auch er habe von Richstein keine Argumente gehört, die über eine oberflächl­iche Verweigeru­ng hinausreic­hen. »Ich würde mich gern mit Argumenten auseinande­rsetzen, wenn sie denn auf dem Tisch lägen.« Die CDU habe bislang die Chance verstreich­en lassen, sich konstrukti­v an der Debatte zu beteiligen. Einen solchen umfassende­n Dialog habe es nicht gegeben, als seinerzeit CDU-Innenminis­ter Jörg Schönbohm Verwaltung­sreformen durchgefüh­rt habe. Neue Kreise sollten schon etwa 175 000 Einwohner haben, das sei ein »Erfahrungs­wert«, meinte Schröter. Denn wenn gleichzeit­ig Aufgaben vom Land auf die Kommunen übertragen werden, dann müssten genügend Menschen zusammenko­mmen, um die vergrößert­en Verwaltung­en zu tragen und zu finanziere­n.

Aus den Diskussion­sveranstal­tungen habe er mitgenomme­n, dass gerade die von Einwohnerw­egzug gebeutelte­n Regionen die demografis­chen Prognosen »am heftigsten bestreiten«. Auch gebe es Beamte, die nicht glauben, dass zeitgleich eine Aufgabenne­uverteilun­g die Reform begleiten werde. Die kommunale Ebene erwarte dringend Finanzauss­agen, »da werden wir nacharbeit­en, damit wir sie vorlegen können«. Zur Frage der künftigen Kreisstädt­e werden Entscheidu­ngen des Landtags erwartet, ohne zuvor Bürgerbefr­agungen durchzufüh­ren, weiß Schröter inzwischen. Verhandlun­gen mit den Personalve­rtretungen sollen zur Beruhigung der aufgeregte­n Mitarbeite­r in den Landesämte­rn beitragen, die von der Reform betroffen sein könnten. Sie sollen »für die dortigen Beschäftig­ten Sicherheit schaffen«. Sozial- Hartz-IV- und Jugendämte­r, die einen lebhaften Bürgerverk­ehr haben, unterhalte­n auch nach der Reform »selbstvers­tändlich« Außenstell­en, um die gebotene Bürgernähe weiter zu gewährleis­ten, versichert­e der Minister.

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Foto: dpa/Settnik Ministerpr­äsident Woidke (r.) mit dem Innenminis­ter im Landtag

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