Geschichte einer Unterschätzung
Berlin. Die heute 15- bis 20-Jährigen können sich eine Bundesrepublik ohne Angela Merkel wohl kaum noch vorstellen. Das ist im Rückblick bemerkenswert, denn einst hatte sich kaum jemand vorstellen können, dass die 1954 in Hamburg als Angela Dorothea Kasner geborene Politikerin jemals Kanzlerin werden würde – nicht zuletzt in der eigenen Partei. Ihr politischer Lebenslauf ist die Geschichte einer Unterschätzung.
Als Merkel im April 2000 auf dem Höhepunkt der CDU-Spendenaffäre deren Vorsitzende wurde, stand es schlimm um die Partei. Eine als »Andenpakt« bekannt gewordene Männerriege hatte damals kalkuliert, Merkel die Krise abwettern lassen und dann selbst übernehmen zu können. Längst sind die Herren so weit in der Versenkung verschwunden wie ihr Amtsvor- gänger Gerhard Schröder (SPD), der noch nach Merkels Wahlsieg nicht glauben wollte, dass sie tatsächlich ins Kanzleramt einzöge.
Trotz aller Unkenrufe hat sich Merkel als gewieft erwiesen. Mit einem neoliberalen Programm ging sie in eine Große Koalition und nahm tatsächlich der SPD Terrain. Dann ließ sie Westerwelles FDP ins Leere laufen – und nun darf wieder die Sozialdemokratie zu Niedriglöhnen im Maschinenraum dienen. Auch jene, die Merkel jetzt über die Flüchtlinge stolpern lassen wollen, könnten sich noch wundern.
Am Sonntag jährt sich nun Angela Merkels Wahl zum zehnten Mal. Das Jubiläum wird von der Münze Berlin mit einer Sonderprägung in schwerem Silber begangen. Vielleicht eine gute Geldanlage – etwa für alle, die Merkels Politik den Euro zerstören sehen.