Der verstoßene Klimaschutzpionier
EEG-Kürzungen, Milliarden für Kohlekraftwerke und Abgasskandal erschüttern Glaubwürdigkeit Deutschlands
Die Bundesrepublik galt vor einigen Jahren als Vorreiter in Sachen Klimaschutz. Doch auf internationaler Ebene hat sie diesen Nimbus längst verloren.
In der Klimaschutzdebatte gibt es Argumente, von denen man ernsthaft nicht mehr annahm, dass sie noch in die Welt entlassen würden. Eines davon ist die Floskel, nach der Vorreiter die Erderwärmung nicht im Alleingang stoppen könnten. So twitterte der Verband der Autoindustrie – weit vor dem VW-Abgasskandal – Mitte Juni: »Europa allein kann Klima nicht retten: ein Jahr Pkw-Verkehr in der EU entspricht Chinas CO2Ausstoß an nur 21 Tagen.«
Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) erweckt den Eindruck, dass Europa im globalen Emissionskonzert immer weiter nach hinten rückt: Dank Unter-
nd-Serie: Weltklimagipfel In Paris soll vom 30. November bis 11. Dezember ein Weltklimaabkommen ausgehandelt werden. Was steht drin? Wie ist der Stand beim Klimawandel? Was kritisieren Zivilgesellschaft und Linke an der Klimadiplomatie der Staaten? Mehr auf: dasND.de/klimagipfel nehmen habe die EU zwischen 1990 und 2013 die Emissionen um 19 Prozent gesenkt und das bei gleichzeitigem Wachstum um 45 Prozent. »Derzeit setzt die EU nur neun Prozent der weltweiten Emissionen frei – bei weiterhin rückläufiger Tendenz«, frohlockt der BDI in einem Positionspapier. Der deutsche Anteil am globalen C02-Ausstoß lag 2014 übrigens bei etwas über zwei Prozent – Platz acht unter den weltgrößten Emittenten.
Auch wenn es zunächst komisch klingt: Das deutsche Tun und Lassen spielt auf der internationalen Klimaschutzbühne tatsächlich eine immer kleinere Rolle. Zwar lagen China und Indien mit Pro-Kopf-Emissionen von 7,4 bzw. 1,7 Tonnen Kohlendioxid im Jahr 2014 noch weit hinter den USA und auch Deutschland zurück, wo der Durchschnittsbürger 16,6 bzw. 10,2 Tonnen »produzierte«. Das Reich der Mitte ist inzwischen aber für fast ein Viertel der weltweiten Emissionen verantwortlich, gefolgt von den USA mit rund 15 Prozent – das Schicksal des Planeten liegt also in der Hand dieser beiden Staaten.
Die Bundesrepublik sorgte indes selbst dafür, aus der ersten Reihe der Klimapolitik verstoßen zu werden. Viele Länder betrachten das hiesige Modell der Ökostromförderung schlicht als »Luxusmodell«, sagt Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Alles in allem kosten die EEG-Vergütungen zwischen 25 und 30 Milliarden Euro jährlich, die vor allem die Stromkunden und da wiederum die privaten Haushalte zu tragen haben. Dass viele Staaten das deutsche Energiewendemodell für zu teuer halten und mehr und mehr vom Nachahmen absehen, ist verständlich.
Zudem scheinen die Deutschen selbst nicht mehr so recht an ihr Modell zu glauben. Mit der EEG-Reform 2014 sorgte die Bundesregierung dafür, dass der Solarzubau kaum vorankommt, der Ausbau der Biomasse gänzlich stillsteht und nur die Offshore-Windkraft noch einigermaßen boomt. Der Titel eines Solarweltmeisters wurde der Bundesrepublik von Ländern wie China und Indien abgenommen, und das eben ganz ohne EEG. Die berechtigte Hoffnung dieser Länder ist, dass Solar- und Windstrom so preiswert werden, dass sie die fossilen Erzeuger quasi automatisch aus dem Feld schlagen.
Auch der jetzt beschlossene Weg der schwarz-roten Koalition, Braunkohleblöcke mit Milliardenkosten stillzulegen und die Beschäftigten mehr oder weniger in den vorzeitigen Ruhestand zu schicken, erzeugt im Ausland eher Kopfschütteln als Begeisterung. Das alles sieht nicht nach Strategie und Konzept, sondern eher nach klimapolitischer Panik aus. Nicht ohne Grund attestierten die Klimaschützer der Bundesregierung in dieser Woche, dass sie das Klimaziel 2020 bei einem Weiter-So verfehlen wird.
Zuletzt hatte der VW-Abgas-Skandal die klimapolitische Glaubwürdigkeit Deutschlands erschüttert. Wegen der Manipulationen müssen zwar die Emissionsbilanzen der vergangenen Jahre nicht korrigiert werden, weil aber die Projektionen der CO2-Einsparungen bei VW auf gefälschten oder bei anderen Herstellern auf geschönten Werten beruhen, muss die EU mit zusätzlichen Emissionen rechnen. Bis 2030 könnten so bis zu 1,5 Milliarden Tonnen CO2 zusätzlich ausgestoßen und das EU-Ziel, bis 2030 die Emissionen um 40 Prozent zu verringern, um fünf Prozentpunkte verfehlt werden. Deutschland fiel mit seinem Autolobbyismus der ganzen EU klimapolitisch in den Rücken.
Reimund Schwarze vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung meint, dass die Bundesrepublik derzeit mit den Schwierigkeiten eines Vorreiters zu kämpfen hat. »Manchmal ist es besser, als zweiter denn als erster zu starten«, sagt er. Schwarze glaubt aber, dass die inländischen Probleme in den Griff zu bekommen sind. Sorgen macht ihm eher, dass sich das deutsche »Pioniermodell« am Ende nicht ohne die europäischen Nachbarn umsetzen lässt: »Die eigentliche Hauptaufgabe der nächsten Dekade ist es, ein vereintes Europa in Sachen Klimaschutz zu erreichen.« Bisher in unserer Serie erschienen: Klimafinanzen (7. 11.), sozial-ökologische Transformation (11. 11.), Klimawandel und Ozeane (14. 11.), Klimaproteste (18. 11.)