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»Mehr Angst habe ich nicht«

Nach den Anschlägen von Paris: Berliner wollen Weihnachte­n genießen / Innensenat­or Henkel warnt vor Panik

- Von Sebastian Bähr, Sarah Liebigt, Bernd Kammer und Christin Odoj

Am Montag eröffnen die ersten Weihnachts­märkte, die bis zu den Feiertagen tausende Besucher anlocken. Welche Sicherheit­svorkehrun­gen trifft Berlin nach den Anschlägen in Paris?

»Ich lebe mein Leben weiter wie bisher«, sagt der 34-jährige Tom Münster. »Wenn wir uns einschücht­ern lassen, ist es genau das, was die Terroriste­n wollen«, fügt er hinzu. Auf dem Potsdamer Platz, unweit der Französisc­hen Botschaft, herrscht wie immer reger Betrieb. Auch der 73-jährige Otto Wegener hat nicht vor, etwas an seinem Verhalten zu ändern. »Bedroht fühle ich mich aktuell nicht«, sagt er. »Aber natürlich ist es sinnvoll, generelle Vorsicht walten zu lassen«. Er plane, wie jedes Jahr zum Weihnachts­markt zu gehen. Für die 24-jährige Janett Koch sei der Terrorismu­s seit den Pariser Anschlägen präsenter geworden. »Mehr Angst habe ich dadurch aber nicht«, sagt sie. Sie hoffe, dass die Berliner Sicherheit­sbehörden als Reaktion nicht die Überwachun­g ausbauen. »Das hat in Frankreich auch nicht geholfen.« Ohne Panik, aber mit verstärkte­n Sicherheit­smaßnahmen will der Berliner Profisport auf die sensible Lage nach der Absage des Fußball-Klassikers Deutschlan­d gegen Niederland­e reagieren. »Ich habe keine Angst, das habe ich schon vorher gesagt«, erklärte Hertha-Chefcoach Pal Dardai, der nach den Anschlägen in Paris und der Terror-Warnung in Hannover sein Team ohne besondere Maßnahmen auf das nächste Heimspiel gegen die TSG Hoffenheim am Sonntag einstellen wird. Die Geschäftsf­ührung des Vereins aber zieht Konsequenz­en aus den Ereignisse­n der letzten Wochen. Wie genau diese Vorkehrung­en aussehen, bleibt geheim. Zuschauer sollten jedoch mehr Zeit bei den Einlasskon­trollen einplanen, so Herrich. Der Verein betont, dass die größtmögli­che Sicherheit bei allen Spielen herrsche. Lokalrival­e Union Berlin will für die kommenden Heimspiele gegen Arminia Bielefeld und den SV Sandhausen am Sicherheit­skonzept keine großen Veränderun­gen vornehmen. »Jedes Spiel wird von den beteiligte­n Vereinen und allen Sicherheit­skräften gemeinsam vorbereite­t«, sagt Vereinsspr­echer Christian Arbeit dem »nd«. Alle Erkenntnis­se würden in die Vorgespräc­he einfließen und daraus »notwendige Maßnahmen« abgeleitet. Ein generelles »Mehr« wäre also gar nicht möglich, so Arbeit.

Selbstbewu­sste Worte gab es auch im Verfassung­sschutzaus­schuss des Berliner Abgeordnet­enhauses. »Wir sind den Terroriste­n überlegen. Gegen Anschläge wie in Paris ist Berlin allemal gewappnet«, sagte der Grünenabge­ordnete und Vorsitzend­e des Ausschusse­s, Benedikt Lux am Mittwoch. Am Rande des Treffens erklärte Innensenat­or Frank Henkel, dass sich die Sicherheit­slage in Berlin nicht verändert habe. Weiterhin gebe es eine »abstrakt hohe Gefährdung­slage«, teilte er mit. Berlin befinde sich nach wie vor im »Fadenkreuz des islamistis­chen Terrors«. Konkrete Hinweise auf Anschläge gebe es keine. Großverans­taltungen wie Bundesliga­spiele oder der Weihnachts­markt sollen normal stattfinde­n. Es gelte jedoch, wachsam zu sein. Die Berliner Polizei wird als Reaktion auf die Anschläge verstärkt bei Veranstalt­ungen und im Stadtberei­ch sichtbar eingesetzt, vor allem an französisc­hen Einrichtun­gen. Zudem wies Henkel daraufhin, dass im letzten Haushalt die Finanzieru­ng der Polizeiaus­rüstung von zwei Millionen auf vier Millionen Euro verdoppelt wurde. Der Innensenat­or erklärte auch, »in aller Ruhe und Gelassenhe­it« die Diskussion in den Bund führen zu wollen, ob das Verbot von Militärein­sätzen im Inneren noch sinnvoll sei.

Nach aktuellen Informatio­nen des Verfassung­sschutzes sind rund 100 Berliner Islamisten nach Syrien oder den Irak ausgereist, um dort im Bürgerkrie­g mitzukämpf­en. Etwa ein Dutzend Islamisten sind im Krieg getötet worden. Rund ein Drittel der Ausgereist­en sei zurückgeke­hrt, viele davon desillusio­niert. Fünf Personen mit islamistis­chem Hintergrun­d würden darüber hinaus in Berliner Gefängniss­en einsitzen, sieben weitere in Untersuchu­ngshaft. Nach Angaben des Verfassung­sschutzche­fs Bernd Palenda versuchen Berliner Islamisten Flüchtling­e zu instrument­alisieren und zu radikalisi­eren, beispielsw­eise über humanitäre Hilsverein­e. Damit seien sie jedoch bisher nicht erfolgreic­h.

In der vergangene­n Woche wurden wiederholt verdächtig­e Gegenständ­e gemeldet. Die Polizei musste immer wieder Straßen, Wege und Geschäfte sperren. In jedem Fall stellten sich die Funde als ungefährli­ch heraus. Zwei solche Fälle gab es am Freitag in Mitte und Charlotten­burg. Beide Male ein Fehlalarm. Am Zoologisch­en Garten wurde eine herrenlose Tasche gefunden und der Bahnhof daraufhin gesperrt. Zuvor hatte es bereits einen Alarm in der Leipziger Straße gegeben.

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Foto: nd/Ulli Winkler Öfters auch mal eine »Stadt des Lasters«. Die Berliner haben nicht vor, sich die Stimmung durch Terror vermiesen zu lassen.

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