Bedenklich viel Sulfat in der Spree
Umweltorganisationen warnen vor einem Anstieg der Trinkwasserpreise
255 Milligramm Sulfat je Liter an der Messstelle Rahnsdorf sind für Braunkohlegegner der Gipfel. Ein Treffen von Politikern und Fachleuten aus Berlin und Brandenburg firmierte dagegen nicht als Gipfel.
Die gute Nachricht zuerst: Es besteht kein Grund zur Panik. Die Berliner Wasserbetriebe (BWB) werden dafür sorgen, dass Trinkwasser in guter Qualität aus den Hähnen fließt. Da ist sich Stefan Taschner vom Bürgerbegehren Klimaschutz absolut sicher. »Aber wir müssen es bezahlen«, beklagt Taschner. Bis zu zehn Cent mehr mehr pro Kubikmeter Trinkwasser müssten die Verbraucher berappen, wenn es notwenig wird, eine zu hohe Belastung mit Sulfat unter den rechtlich zulässigen Grenzwert von 250 Milligramm je Liter zu drücken. Das wäre ein Preisanstieg von sechs Prozent. BWB-Sprecher Stephan Natz bestätigt die Kostenrechnung.
Nun die schlechte Nachricht: Der Grenzwert ist in der Spree an der Messstelle Rahnsdorf bereits um fünf Milligramm überschritten worden. Aber auch das ist kein Grund zur Panik. Denn das Berliner Wasserwerk Friedrichshagen pumpt nicht aus dem Fluss, sondern fördert Grundwasser aus Brunnen in Ufernähe. Das ist ein Unterschied. Zwar stehen Grundwasser, Müggelsee und Spree miteinander in Verbindung. Doch es seien gegenwärtig immer noch 50 Milligramm »Luft nach oben«, beruhigt BWB-Sprecher Natz für den Moment.
Handlungsbedarf besteht aber dennoch. Schließlich sind die Sulfatwerte seit 1996 ziemlich stetig angestiegen – und in den trockenen Jahren 2014 und 2015 stärker als prognostiziert. Vor zehn Jahren sind an der Messstelle Rahnsdorf etwa 150 Milligramm registriert worden, zuletzt kletterte der Betrag sprunghaft bis auf 255 Milligramm.
Das schwefelsäurehaltige Sulfat ist in geringerer Konzentration auch in der Havel zu finden. Die ungleich höhere Belastung der Spree ergibt sich aus dem Braunkohletagebau in der Lausitz. Das dort in Gesteinsschichten enthaltene Sulfat wird durch wiederansteigendes Grundwasser ausgewaschen und gelangt in den Fluss. Der trägt es nach Berlin.
Der Tagebau hat auch andere Umweltfolgen: Deutlich sichtbar ist das Eisenhydroxid – Stichwort »braune Spree« –, das in der Vergangenheit für große Aufregung sorgte. Durch Maßnahmen wie die Wiederinbetriebnahme von Grubenwasserreini- gungsanlagen und das Ausbaggern der Wudritz, die in die Spree mündet, konnte immerhin bereits eine spürbare Aufhellung der Spree erreicht werden. Gegen die Versauerung von Seen wird durch Zugabe von Kalk vorgegangen.
Kalk wäre auch ein probates Mittel gegen die unsichtbare Sulfatbelastung, erläutert René Schuster von der Grünen Liga. So ließe sich das Problem gleich beim Aufschütten der Tagebaukippen neutralisieren, erklärt er. Doch dem Energiekonzern Vattenfall sei dies zu teuer. Dabei finden Schuster und Taschner, man müsste das Problem an der Wurzel packen, anstatt die Kosten den Steuerzahlern oder den Kunden der Berliner Wasserbetriebe aufzubürden. Neue Braunkohletagebaue wie Welzow-Süd II und Jänschwalde Nord dürften nicht mehr genehmigt werden. 64 Prozent der Sulfatbelastung rühre nachweislich von aktiven Tagebauen her, betont Schuster. Der Rest komme als Altlast von stillgelegten Tagebauen aus DDR-Tagen.
Die Länder Berlin und Brandenburg haben das Problem wenigstens endlich erkannt. Am Freitag trafen sich in der Hauptstadt Berlins Umweltstaatssekretär Christian Gaebler und Brandenburgs Wirtschaftsstaatssekretär Hendrik Fischer – mit Experten der Wasserbetriebe, der Wasserbehörde und des Landes- bergamts. Der Termin sei zum Sulfatgipfel stilisiert worden, sagt Claudia Lippert, Sprecherin des Wirtschaftsministeriums. Tatsächlich handele sich jedoch nur um eine ganz gewöhnliche Arbeitsbesprechung. Die von den Umweltverbänden ersehnten Ergebnisse, die mitgeteilt werden könnten, seien deshalb nicht zu erwarten, stellte Lippert klar.
Industriell abgebaut und zu Briketts verarbeitet oder zur Stromerzeugung verwendet wird die Braunkohle in der Lausitz bereits seit dem 19. Jahrhundert. Das sorgte immer schon für eine Sulfatbelastung. Diese ließ sich aber durch Verdünnung eindämmen. Die extrem niedrigen Niederschlagsmengen in den zurückliegenden Jahren haben jedoch dafür gesorgt, dass dies nicht mehr so wie früher funktionierte.
Ursprünglich hatte Winfried Lücking vom Bund für Umwelt und Naturschutz nach Analyse der Entwicklung angenommen, dass der Grenzwert an der Messstelle Rahnsdorf im Jahr 2020 überschritten wird. Die trockenen Sommer führten dazu, dass es bereits jetzt soweit war. Die Belastung habe sich dadurch sprunghaft um mehr als ein Drittel erhöht, sagt Lücking. Es wird behauptet, Altlasten aus der DDR seien die alleinige Ursache der schon länger angestiegenen Sulfatwerte. Bis 2018 werde die Konzentration im Wasser noch zunehmen, danach wieder zurückgehen. Aber das glaubt Lücking nicht. Ergriffene Maßnahmen wie die Versickerung des Grubenwassers oder die Umleitung in die Neiße helfen der Spree seiner Ansicht nach nur vorübergehend und insgesamt überhaupt nicht.
Die Wasser- und Abwassergesellschaft Frankfurt (Oder), die zur Versorgung ihrer Kunden auf Spreewasser zugreift, teilte mit, das hiesige Trinkwasser könne »noch!« bedenkenlos genossen werden. Am Wasserwerk Briesen seien im Fluss jedoch bereits bis zu 345 Milligramm Sulfat je Liter gemessen worden, so dass es zunehmend schwieriger werde, den Grenzwert im Trinkwasser allein durch Verdünnen einzuhalten.
»Ausflüchte hat es schon genug gegeben«, schimpft Peter Ohm, Präsident des Verbandes Deutscher Grundstücksnutzer. »Jetzt müssen die Länder Berlin und Brandenburg endlich Taten sprechen lassen.«
Zu viel Sulfat kann zu Magen- und Darmverstimmungen bis hin zum Durchfall führen. Zwar enthält manches Mineralwasser 400 Milligramm je Liter und mehr. Der Grenzwert muss aber auf jeden Fall eingehalten werden. Den Berliner Wasserbetrieben bleibt da keine Wahl. Sie müssten und würden für die Einhaltung sorgen. Das würde auf den Trinkwasserpreis durchschlagen.