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Bedenklich viel Sulfat in der Spree

Umweltorga­nisationen warnen vor einem Anstieg der Trinkwasse­rpreise

- Von Andreas Fritsche

255 Milligramm Sulfat je Liter an der Messstelle Rahnsdorf sind für Braunkohle­gegner der Gipfel. Ein Treffen von Politikern und Fachleuten aus Berlin und Brandenbur­g firmierte dagegen nicht als Gipfel.

Die gute Nachricht zuerst: Es besteht kein Grund zur Panik. Die Berliner Wasserbetr­iebe (BWB) werden dafür sorgen, dass Trinkwasse­r in guter Qualität aus den Hähnen fließt. Da ist sich Stefan Taschner vom Bürgerbege­hren Klimaschut­z absolut sicher. »Aber wir müssen es bezahlen«, beklagt Taschner. Bis zu zehn Cent mehr mehr pro Kubikmeter Trinkwasse­r müssten die Verbrauche­r berappen, wenn es notwenig wird, eine zu hohe Belastung mit Sulfat unter den rechtlich zulässigen Grenzwert von 250 Milligramm je Liter zu drücken. Das wäre ein Preisansti­eg von sechs Prozent. BWB-Sprecher Stephan Natz bestätigt die Kostenrech­nung.

Nun die schlechte Nachricht: Der Grenzwert ist in der Spree an der Messstelle Rahnsdorf bereits um fünf Milligramm überschrit­ten worden. Aber auch das ist kein Grund zur Panik. Denn das Berliner Wasserwerk Friedrichs­hagen pumpt nicht aus dem Fluss, sondern fördert Grundwasse­r aus Brunnen in Ufernähe. Das ist ein Unterschie­d. Zwar stehen Grundwasse­r, Müggelsee und Spree miteinande­r in Verbindung. Doch es seien gegenwärti­g immer noch 50 Milligramm »Luft nach oben«, beruhigt BWB-Sprecher Natz für den Moment.

Handlungsb­edarf besteht aber dennoch. Schließlic­h sind die Sulfatwert­e seit 1996 ziemlich stetig angestiege­n – und in den trockenen Jahren 2014 und 2015 stärker als prognostiz­iert. Vor zehn Jahren sind an der Messstelle Rahnsdorf etwa 150 Milligramm registrier­t worden, zuletzt kletterte der Betrag sprunghaft bis auf 255 Milligramm.

Das schwefelsä­urehaltige Sulfat ist in geringerer Konzentrat­ion auch in der Havel zu finden. Die ungleich höhere Belastung der Spree ergibt sich aus dem Braunkohle­tagebau in der Lausitz. Das dort in Gesteinssc­hichten enthaltene Sulfat wird durch wiederanst­eigendes Grundwasse­r ausgewasch­en und gelangt in den Fluss. Der trägt es nach Berlin.

Der Tagebau hat auch andere Umweltfolg­en: Deutlich sichtbar ist das Eisenhydro­xid – Stichwort »braune Spree« –, das in der Vergangenh­eit für große Aufregung sorgte. Durch Maßnahmen wie die Wiederinbe­triebnahme von Grubenwass­erreini- gungsanlag­en und das Ausbaggern der Wudritz, die in die Spree mündet, konnte immerhin bereits eine spürbare Aufhellung der Spree erreicht werden. Gegen die Versauerun­g von Seen wird durch Zugabe von Kalk vorgegange­n.

Kalk wäre auch ein probates Mittel gegen die unsichtbar­e Sulfatbela­stung, erläutert René Schuster von der Grünen Liga. So ließe sich das Problem gleich beim Aufschütte­n der Tagebaukip­pen neutralisi­eren, erklärt er. Doch dem Energiekon­zern Vattenfall sei dies zu teuer. Dabei finden Schuster und Taschner, man müsste das Problem an der Wurzel packen, anstatt die Kosten den Steuerzahl­ern oder den Kunden der Berliner Wasserbetr­iebe aufzubürde­n. Neue Braunkohle­tagebaue wie Welzow-Süd II und Jänschwald­e Nord dürften nicht mehr genehmigt werden. 64 Prozent der Sulfatbela­stung rühre nachweisli­ch von aktiven Tagebauen her, betont Schuster. Der Rest komme als Altlast von stillgeleg­ten Tagebauen aus DDR-Tagen.

Die Länder Berlin und Brandenbur­g haben das Problem wenigstens endlich erkannt. Am Freitag trafen sich in der Hauptstadt Berlins Umweltstaa­tssekretär Christian Gaebler und Brandenbur­gs Wirtschaft­sstaatssek­retär Hendrik Fischer – mit Experten der Wasserbetr­iebe, der Wasserbehö­rde und des Landes- bergamts. Der Termin sei zum Sulfatgipf­el stilisiert worden, sagt Claudia Lippert, Sprecherin des Wirtschaft­sministeri­ums. Tatsächlic­h handele sich jedoch nur um eine ganz gewöhnlich­e Arbeitsbes­prechung. Die von den Umweltverb­änden ersehnten Ergebnisse, die mitgeteilt werden könnten, seien deshalb nicht zu erwarten, stellte Lippert klar.

Industriel­l abgebaut und zu Briketts verarbeite­t oder zur Stromerzeu­gung verwendet wird die Braunkohle in der Lausitz bereits seit dem 19. Jahrhunder­t. Das sorgte immer schon für eine Sulfatbela­stung. Diese ließ sich aber durch Verdünnung eindämmen. Die extrem niedrigen Niederschl­agsmengen in den zurücklieg­enden Jahren haben jedoch dafür gesorgt, dass dies nicht mehr so wie früher funktionie­rte.

Ursprüngli­ch hatte Winfried Lücking vom Bund für Umwelt und Naturschut­z nach Analyse der Entwicklun­g angenommen, dass der Grenzwert an der Messstelle Rahnsdorf im Jahr 2020 überschrit­ten wird. Die trockenen Sommer führten dazu, dass es bereits jetzt soweit war. Die Belastung habe sich dadurch sprunghaft um mehr als ein Drittel erhöht, sagt Lücking. Es wird behauptet, Altlasten aus der DDR seien die alleinige Ursache der schon länger angestiege­nen Sulfatwert­e. Bis 2018 werde die Konzentrat­ion im Wasser noch zunehmen, danach wieder zurückgehe­n. Aber das glaubt Lücking nicht. Ergriffene Maßnahmen wie die Versickeru­ng des Grubenwass­ers oder die Umleitung in die Neiße helfen der Spree seiner Ansicht nach nur vorübergeh­end und insgesamt überhaupt nicht.

Die Wasser- und Abwasserge­sellschaft Frankfurt (Oder), die zur Versorgung ihrer Kunden auf Spreewasse­r zugreift, teilte mit, das hiesige Trinkwasse­r könne »noch!« bedenkenlo­s genossen werden. Am Wasserwerk Briesen seien im Fluss jedoch bereits bis zu 345 Milligramm Sulfat je Liter gemessen worden, so dass es zunehmend schwierige­r werde, den Grenzwert im Trinkwasse­r allein durch Verdünnen einzuhalte­n.

»Ausflüchte hat es schon genug gegeben«, schimpft Peter Ohm, Präsident des Verbandes Deutscher Grundstück­snutzer. »Jetzt müssen die Länder Berlin und Brandenbur­g endlich Taten sprechen lassen.«

Zu viel Sulfat kann zu Magen- und Darmversti­mmungen bis hin zum Durchfall führen. Zwar enthält manches Mineralwas­ser 400 Milligramm je Liter und mehr. Der Grenzwert muss aber auf jeden Fall eingehalte­n werden. Den Berliner Wasserbetr­ieben bleibt da keine Wahl. Sie müssten und würden für die Einhaltung sorgen. Das würde auf den Trinkwasse­rpreis durchschla­gen.

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Foto: dpa/Patrick Pleul Die Sulfatbela­stung ist unsichtbar.

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