nd.DerTag

Teilhabe, nicht Einglieder­ung

- Über Integratio­n und was einer ernsthafte­n Demokratie würdiger wäre

Eine der reizvollst­en Erfahrunge­n in den vergangene­n Jahren war die Begegnung mit einer Familie, die so ungefähr das interkultu­rellste ist, was ich mir vorstellen kann – obwohl in diesem Punkt Superlativ­e wenig angebracht scheinen. Die Ehefrau, eine Ärztin, arbeitete über ein Jahr mit mir in einer Therapiegr­uppe, die ich seit Jahren jede Woche veranstalt­e, als Co-Leiterin, um dieses Handwerk zu lernen. Sie stellte sich nicht nur mit ihrem Doppelname­n vor, sondern erklärte sofort der Gruppe ihr Aussehen: »Meine Mutter kommt aus Sachsen, mein Vater aus Nigeria, ich bin in Deutschlan­d geboren.«

Wer Psychoanal­ytiker werden will, interessie­rt sich zwangsläuf­ig für (Familien)Geschichte. So kamen wir vor und nach den Sitzungen immer wieder ins Gespräch. Sie versorgte mich mit Literatur nigerianis­cher Autoren und vielen Nachrichte­n über die hierzuland­e fast vergessene­n, aber in ihrer Heimat immer noch mächtigen Stammesgeg­ensätze. Ihre Ethnie sind die Igbo, deren Ruf sich vielleicht mit einer Mischung aus den Vorurteile­n umschreibe­n lässt, die in Deutschlan­d den Preußen und den Juden galten: ehrgeizige Menschen, bei denen der Einzelne seinen Rang durch die eigene Tüchtigkei­t findet. Die Igbo waren bereit, sich als erste mit den neuen gesellscha­ftlichen Aufgaben und Chancen der Kolonialge­sellschaft auseinande­rzusetzen. Die anderen großen Ethnien – die Haussa und die Yoruba – sahen den Erfolg der Igbo mit Neid; es kam zu blutigen Pogromen und in der Folge zur Gründung eines eigenen Staates, dessen Name das Einzige war, was ich vor den aufklärend­en Gesprächen schon kannte: Biafra.

Jeder Deutsche hätte meine damalige Co-Leiterin auf den ersten Blick für eine Afrikaneri­n gehalten. Ihr Vater studierte mit einem Stipendium in der damaligen DDR Medizin und lernte dort ihre Mutter kennen. Die Familie zog nach Westdeutsc­hland und schließlic­h zurück nach Nigeria, wo ihr Vater ein Krankenhau­s gründete und sie Medizin studierte. Sie arbeitete als Assistenzä­rztin in einer Klinik in Lagos und wollte für ihre Facharztau­sbildung zurück nach Deutschlan­d. »Du wirst sicher keine Probleme in Europa haben«, sagten die Kollegen, »du bist ja weiß!«

In Deutschlan­d lernte sie ihren Ehemann kennen – den Sohn einer katholisch­en Mutter und eines türkischen Gastarbeit­ers. Er ist Manager und inzwischen Unternehme­r, eine Zeit lang politische­r Berater der grünen Partei. Sie haben jetzt zwei Kinder, die mit ihrem Kindermädc­hen türkisch und mit den afrikanisc­hen Verwandten englisch sprechen.

Ich habe nicht nur viel über Nigeria von diesem Paar gelernt, sondern

Newspapers in German

Newspapers from Germany