Heilige und gerechte Kriege?
Von Aufständischen und Kreuzrittern, Dschihadisten und Revoluzzern.
Mit 30 000 Legionären marschierte Kaiser Vespasian im Jahr 67 unserer Zeitrechnung in Galiläa ein, um den Aufstand der Juden gegen die römische Knechtschaft niederzuschlagen. Doch es sollte erst seinem Sohn Titus anno domini 72 gelingen, die Erhebung niederzuschlagen. Der Tempel von Jerusalem wurde in Brand gesteckt, die Stadt derart zerstört, dass sie fast ein Jahrhundert unbewohnt blieb. Über eine Millionen Juden verloren ihr Leben, noch einmal so viele wurden in die Sklaverei verschleppt; die Preise auf den Sklavenmärkten brachen ein. Die Kunde vom »Jüdischen Krieg« verdanken wir vor allem Flavius Josephus. Er berichtet, eine unbändige »Freiheitsliebe« und die Überzeugung, dass »Gott allein Herrscher und Herr« sei, habe zur Auflehnung der Juden geführt, Tod nicht fürchtend.
Auch die spätantiken christlichen Märtyrer gingen, so die Überlieferung, lieber singend in den Tod, als von ihrem Glauben abzuschwören. Mit ihrer unerschrockenen Haltung wollten sie »Zeugnis« (griechisch: martyr) ablegen von der Allmächtigkeit Gottes wider die angemaßte Göttlichkeit des Imperators.
635 stand ein gewaltiges muslimisches Heer vor Damaskus, der wichtigsten Bastion des Byzantinischen Reiches im Nahen Osten. Ein Jahr währte die Belagerung der von dicken Mauern umgebenen Stadt, bis die erschöpften Christen kapitulierten. Damaskus erhielt einen arabischen Gouverneur, der Bischof durfte aber weiter seines Amtes walten. Die Stadt wurde nicht zerstört, Hospitäler und Bäder blieben geöffnet, Bibliotheken wurden nicht geplündert. Die Eroberer forderten lediglich eine Kopfsteuer, »Dschyza«, von den Einwohnern. Hernach eroberten die Dschihadisten Ägypten, die Kornkammer von Byzanz. Kaum ein halbes Jahrhundert später drangen sie über Gibraltar in Spanien ein. Mitte des 8. Jahrhunderts erstreckte sich das Arabische Imperium vom Punjab im Osten bis Hispania im Westen. Nichtmuslime durften ihrer Religion weiter anhängen und wurden nicht behelligt, so sie sich nicht gegen den Kalifen und seine Beamten erhoben.
1095 hielt Papst Urban II. auf einer Synode in der Kathedrale von Clermont eine Rede, in der er die Leiden der Christen im Heiligen Land in dramatischen Bildern beschrieb und die Notwendigkeit der Befreiung der Heiligen Stätten beschwor. Seine Zuhörer waren begeistert. Im Sekundentakt warfen sich, einer nach dem anderen, die Bischöfe vor ihm auf die Knie und baten inständigst darum, von ihm angeführt ins Heilige Land pilgern zu dürfen. Im Jahr darauf begann der erste Kreuzzug der »abendländischen Christenheit«. Dessen Motto »Deus lo vult!« (Gott will es!) sollte auch die folgenden sieben bewaffneten Pilgerfahrten leiten, deren Teilnehmern, ob Ritter, Edelmann oder bettelarmer Mann (und sogar Kinder, 1212), »nie verwelkender Ruhm im Himmelreich« versprochen wurde. Wurden die Kreuzzüge religiös begründet, dienten sie doch höchst weltlichen Machtansprüchen, nicht nur der Kurie. Und es war nicht nur die Gier nach Byzanz’ Schätzen.
Jeanne d’Arc, die Jungfrau von Orléans, hatte im zarten Alter von 13 Jahren ihre ersten Visionen. Sie hörte die Stimme der Heiligen Katharina, später auch des Erzengels Michael und der Heiligen Margareta, die ihr befahlen, Frankreich von den Engländern zu befreien und den Dauphin rechtens auf den Thron zu setzen. Das geschah im sogenannten Hundertjährigen Krieg, der sich 1337 an einem lehensrechtlichen Streit zwischen französischen und englischen Adelshäusern entzündete und in einem um Krone und Zepter über Frankreich mündete.
Diese Aufzählung ließe sich endlos fortsetzen. Wie auch eine solche über terroristische Akte in der Menschheitsgeschichte, ob individuell oder kollektiv ausgeführt. Man könnte mit Brutus beginnen, der an den Iden des März 44 vor unserer Zeitrechnung in Komplizenschaft mit dem Senat Gaius Iulius Caesar meuchelte. Doch überspringen wir mal kurzerhand Jahrhunderte: Am 13. März 1881 verfehlte zunächst nur knapp ein Sprengstoffanschlag Zar Alexander II. »Freuen Sie sich nicht zu früh!«, rief der sogleich von Ochrana-Leuten überwältigte Attentäter der Kutsche des Monarchen hinterher. Tatsächlich landete kurz darauf eine weitere Granate vor den Füßen des Potentaten. Die Attentäter gehörten der Geheimorganisation »Narodnaja Wolja« (Volkswille) an, die das despotische Regime stürzen wollte. Acht Jahre später, am 10. September 1898, erstach der italienische arbeitslose Anarchist Luigi Lucheni in Genf Kaiserin Elisabeth, genannt »Sissi«. Dem Antimonarchisten waren alle Regenten der Europa knechtenden Heiligen Allianz zutiefst zuwider. Am 27. August 1979 erlag Lord Louis Mountbatten, Mitglied der Familie der Queen, einem Anschlag der IRA. Die irischen Freiheitskämpfer hatten eine Bombe auf seine Jacht geschmuggelt. Mit dem 1. Earl of Burma und Vizekönig von Indien starb auch dessen 14-jähriger Enkel.
Wie heilig sind Heilige Kriege? Gibt es gerechte Kriege? Sind terroristische Akte gerechtfertigt? Was unterscheidet die islamistischen Selbstmordattentäter von den Inquisitoren der katholischen Kirche? Was die frühen christlichen Märtyrer von sich nicht minder selbstlos aufopfernden Revoluzzern? Was George W. Bush jun. von Papst Urban II.? Die Römer machten es sich leicht, verurteilten jeden Krieg, der nicht von Rom sanktioniert war, als illegitimen Bandenkrieg. Frantz Fanon unterschied zwischen der Gewalt der Kolonialisierten und jener der Kolonialmacht, Walter Benjamin zwischen »rechtsetzender« und »rechterhaltender« Gewalt. Und, bringt uns der Exkurs in der Bewertung heutigen individuellen wie Staatsterrorismus weiter?