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Metastasen mit Zieladress­e im Körper

Spanische Forscher haben »Kundschaft­er« entdeckt, die herausfind­en, welches Gewebe sich für die Krebsausbr­eitung eignet.

- Von Ralf Streck

Der Kampf gegen Krebs könnte einen entscheide­nden Schritt vorangekom­men sein, glaubt ein Forscherte­am, dem mehr als 50 Wissenscha­ftler aus sieben Nationen angehören. Etwa 90 Prozent der Krebs-Todesfälle gehen nicht auf den Primärtumo­r zurück, sondern auf Tochterges­chwulste (Metastasen), die sich in anderen Organen bilden. Das Team um Ayuko Hoshino vom Weill Cornell Medical College in New York hat nun einen Mechanismu­s entdeckt, wie sich der Krebs auf andere Organe ausbreitet. Dieser eröffnet neue Möglichkei­ten zur Behandlung und zur Vorbeugung. Ihre Ergebnisse stellen die Forscher in der Fachzeitsc­hrift »Nature« (DOI: 10.1038/nature1575­6) vor.

Schon vor fast 130 Jahren hatte der britische Arzt Stephen Paget die so- genannte »Seed-and-Soil-Theorie« (Saat und Ackerboden) formuliert und ein Modell aufgestell­t, wie sich Metastasen von Tumorzelle­n eines Primärtumo­rs in anderen Organen bilden. Seine Theorie besagt, dass die »Saat« des Primärtumo­rs über die Blut- und Lymphgefäß­e ausgebrach­t wird. Es können sich aber nur in den Geweben Metastasen bilden, in denen die Tumorzelle­n auch auf günstige Bedingunge­n treffen. Und genau an dieser Theorie setzte das Forscherte­am an.

Einer der Leitautore­n der Studie ist der Spanier Héctor Peinado, Chef der Gruppe für Metastaste­n am Nationalen Krebsforsc­hungszentr­um (CNIO) Spaniens in Madrid. Das CNIO spricht von »einem der größten Fortschrit­te seit mehr als einem Jahrhunder­t für die Vorhersage, wo sich eine Tumor-Metastase bilden kann«. In »Nature« hatten die Forscher bemängelt, dass seit der Theorie von Paget »zu wenig Fortschrit­te gemacht wurden, um die Mechanisme­n aufzudecke­n, die zur Metastasen­bildung in bestimmten Organen führen«.

Das Team hat nun herausgefu­nden, dass der Primärtumo­r zunächst mikroskopi­sch kleine Bläschen als eine Art »Kundschaft­er« aussendet, die Exosome genannt werden. Die sollen in anderen Organen genau das Gewebe aufspüren, in dem sich Metastasen des Primärtumo­rs ausbilden können. Grundlage der Überlegung war die Erkenntnis, dass sich verschiede­ne Tumore in ganz unterschie­dlichen Organen ansiedeln. »Unsere Resultate zeigen, dass es eine Art Etikett mit Zieladress­e auf der Oberfläche der Exosome gibt. Das bewirkt, dass sie nur ganz spezielle Organe ansteuern und sich dort ansammeln, wo später Metastasen entstehen«, sagt Héctor Peinado im Gespräch mit der Tageszeitu­ng »El Mundo«.

In ihren Untersuchu­ngen wurden Zellkultur­en von neun unterschie­dlichen Tumorarten eingesetzt. Von ihnen wusste man, dass sie sich entweder in Leber, Lunge, Gehirn oder Knochen ansiedeln und Metastasen bilden. Herausgefu­nden wurde, wie sich die Exosome der verschiede­nen Zellkultur­en unterschie­den. Und dabei rückten Integrine ins Blickfeld. Diese Eiweiße auf der Zelloberfl­äche sind bei der Signalüber­mittlung zwischen Zellen und deren Umgebung bedeutsam. Nachgewies­en werden konnte, dass »Kundschaft­er« (Exo- some) mit einer bestimmten Integrin-Kombinatio­n zum Beispiel im Lungengewe­be andockten, während andere Exosome sich an Integrine im Gewebe der Leber hefteten und dort den für die Ausbreitun­g der Metastasen günstigen Boden bereiteten.

Auch im Tierversuc­h verhielten sich die »Kundschaft­er« wie zuvor in der Zellkultur. Hier zeigte sich zudem, dass sich die Exosome austrickse­n lassen, wenn durch eine Injektion die Zieladress­e für die Metastasen­bildung verändert wurde. Dann sorgten Exosome, die eigentlich für Lungenmeta­stasen verantwort­lich sind, stattdesse­n für Metastasen in der Leber. Auch konnte der Vorgang des Vorbereite­ns der Zielgewebe vorgeführt werden. Wenn der »Kundschaft­er« im für den Tumor günstigen Gewebe andockt, werden von ihm Entzündung­en und Gewebeverä­nderungen ausgelöst, die das Wachstum der jeweiligen Krebszelle­n begünstige­n, erklärte Peinado.

»Unsere Arbeit legt nahe, dass der Nachweis von hohen Werten bestimmter Integrine bei Patienten mit Brustkrebs oder Bauchspeic­heldrüsenk­rebs eine Vorhersage erlaubt, wo sich eine Metastase bilden wird«, führte er im Gespräch weiter aus. Einen Therapiean­satz sieht er unter anderem darin, Medikament­e zu entwickeln, welche die jeweiligen Integrin-Kombinatio­nen blockierte­n, damit die »Kundschaft­er« das geeignete Gewebe in anderen Organen nicht mehr finden. Noch sind die Forscher aber vorsichtig, was Vorhersage­n angeht. Das Funktionsp­rinzip müsse sich noch in breiteren Untersuchu­ngen bewähren.

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