nd.DerTag

Bezahl mich durch die Blume

Über digitale Möglichkei­ten, dem Stigma der Prostituti­on zu entkommen.

- Von Alexander Isele

Pia Poppenreit­er, Unternehme­nsgründeri­n der App »Ohlala«

Werbeplaka­te für alles, was auch nur entfernt mit Liebe, Lust und Erotik zu tun hat, gibt es in Berlin zuhauf. Neben diversen Langzeitpo­stern, die die neueste Generation an Sexspielze­ug bewerben, den Weg zur nächsten Happy-EndMassage weisen oder direkt ins Bordell, fiel dieses Jahr besonders die Kampagne eines jungen Start-up-Unternehme­ns auf: »Nicht die Frau fürs Leben finden« stand diesen August auf vielen Plakaten. »Ohlala, die App für bezahlte Dates« ging in Deutschlan­d an den Markt, natürlich zuerst in der größten Stadt des Landes.

Nun ist Escortserv­ice keine neue Erfindung, bei diversen Agenturen kann man sich die Abendbegle­itung nach eigenen Vorstellun­gen und Wünschen buchen. Ob der Abend dann mit einem Besuch im Theater, der Begleitung zu langweilig­en Geschäftse­ssen oder im Bett eines Hotels endet, wird bei der Buchung mit der Agentur abgeklärt und entspreche­nd bezahlt.

Ohlala will aber mehr leisten als nur das Verkuppeln von Dates. Pia Poppenreit­er, Gründerin des Unternehme­ns, möchte den Nutzern der App die Privatsphä­re zurückgebe­n. Viele Menschen, mit denen Poppenreit­er in dem Bereich gesprochen hat, haben ihr gegenüber immer wieder betont, wie sehr sie Angst davor haben, entdeckt zu werden. »Das Thema ist so sehr gesellscha­ftlich stigmatisi­ert, das zwingt viele, die in diesem Bereich tätig sind, ein Doppellebe­n zu führen, was als maßgeblich belastend empfunden wird.« Deswegen hat sich das Unternehme­n entschiede­n, keine öffentlich­en Profile anzulegen. »Wir wollen nicht, dass die Frauen sich zur Schau stellen und sich präsentier­en müssen, sondern wir geben ihnen die Privatsphä­re zurück.« Auch, indem das Unternehme­n die App so konzipiert hat, dass es keinen Einblick in den Chatverlau­f zwischen Käufern und Verkäufern von Dates gibt. Für Poppenreit­er eine »private Sache, die niemanden etwas angeht außer den zwei Leuten, die sich im Chat verabreden«.

Die App funktionie­rt so: Sucht man ein Date, stellt man eine Buchungsan­frage, nennt Ort, Zeit und Dauer und formuliert in einem Freitext die eigenen Vorstellun­g zum Ablauf. Die Anfragen sind für die sichtbar, die sich für Dates bezahlen lassen. Wer bereit ist, auf dieses Date zu gehen, schaltet sein Profil frei und erst dann kann der Suchende es einsehen und per Chat Kontakt aufnehmen. Was da letztlich abgemacht wird, weiß das Unternehme­n nicht. Auch ein Grund dafür, dass Pia Poppenreit­er nichts von Prostituti­on hören will: »Es ist erstaunlic­h, dass viele Leute dem immer einen Namen geben wollen, es Prostituti­on nennen. Wir sehen das anders, für uns sind das bezahlte Dates, weil wir einfach nicht wissen, was auf den Dates passiert.«

Die Nachfrage nach bezahlten Dates ist groß. In neun Wochen gab es 12 000 Registrier­ungen und über 8000 Buchungsan­fragen, 4000 der Männer sind aktiv auf der Suche nach den 1000 Frauen, die bezahlte Dates anbieten. Es gibt auch ein paar Männer, die sich bezahlen lassen dafür, auf ein Date mit Frauen zu gehen, aber der Anteil ist sehr gering.

Die 24-jährige Sarah geht auf bezahlte Dates, die sie über Ohlala findet. Auch wenn sie nebenher Vollzeit arbeitet, bezeichnet sie sich als Sexarbeite­rin. Gelernt hat sie Rettungssa­nitäterin, mittlerwei­le ist sie für Ohlala tätig und betreut Neuanmeldu­ngen von Frauen, die für Geld auf Dates gehen wollen. Ihre Grenzen zwischen Privat und Beruf sind fließend, und sie hat viel Spaß an ihrer Arbeit. Sex ist nur ein Teil davon, und oftmals ist es vor allem der besondere Einblick in die Lebensreal­itäten anderer Menschen, der sie an den Dates reizt. Sie schätzt, dass ihre Arbeit zu circa 80 Prozent aus paartherap­eutischen Komponente­n besteht. Ehemänner fragen sie, wie sie ihre Frauen dazu kriegen, mal etwas anderes auszuprobi­eren. Kompetent fühlt sie sich bei ihren Antworten nicht unbedingt, aber es macht ihr Spaß: »Ich mach’ das super gerne. Vielleicht studiere ich irgendwann mal Sexualwiss­enschaften und werde Sexual- oder Paartherap­eutin.«

In ihrer Arbeit sieht Sarah klare Elemente von sexualther­apeutische­r Tätigkeit, was ihr gefällt: »Ich finde es einfach super spannend, wenn Männer mit meiner Hilfe Sachen ausprobier­en, von denen sie schon ganz lange träumen, sich das aber noch nie getraut haben. Ich mag es, Leuten so zu helfen.« Bereits mit 14 Jahren hat sie das erste Mal gedacht, dass spannend sein könnte, zu bezahlten Dates zu gehen. Mit 17 las sie alles, was es zu dem Thema zu lesen gab, wie zum Beispiel »Fucking Berlin«, ein Buch über eine italienisc­he Mathestude­ntin, die nach Berlin zum Studieren kam und sich mit bezahlten Dates ihr Leben finanziert­e. Als sie mit Anfang 20 über eine Flirt-App ein »unmora- lisches Angebot« bekam, flippte Sarah »fast aus, dass es endlich passiert«. Von ihr wichtigen Personen bekam sie Unterstütz­ung, fühlte sich »empowert«, und nach einer Dreivierte­lstunde war sie um 250 Euro reicher.

»Empowert« zu sein ist Sarah wichtig. Mit ihrer Arbeit setzt sie sich intensiv auseinande­r, steht auf Fortbildun­gen Rede und Antwort zum Thema Sexarbeit, empfiehlt das Buch »Hure spielen: Die Arbeit der Sexarbeit« von Melissa Gira Grant, in dem diese Erlebnisse von Sexarbeite­rinnen in den USA erzählt, wie diese im Fokus der Polizei stehen. Dank der liberalen Gesetze in Deutschlan­d passiert ihr das hier nicht, allerdings kann Sarah es nicht glauben, dass 30 Jahre nach dem ersten »Hurenkongr­ess« in Deutschlan­d 1985 die Frage nach Moral mit der des Arbeitskam­pfs kon- kurriert, und Alice Schwarzer, CDU/CSU und die Grünen immer noch meinen, sie retten zu müssen: »Das ist so unfassbar regressiv und antifemini­stisch – das macht mich wütend!«

Ohlala ist nicht die einzige Plattform, die in Deutschlan­d den Bereich der käuflichen Liebe erneuert hat. Seit 2004 gibt es die Seite gesext.de im Internet, über die Sexauktion­en laufen. Ganz wie bei anderen Onlineaukt­ionen stellt der Anbieter etwas ein, das dann von Bietern ersteigert werden kann. Sind es bei Ebay CDs oder Kleidungss­tücke, so sind es bei gesext neben dem einen oder anderen getragenen Schlüpfer vor allem sexuelle Dienstleis­tungen.

Die Idee hatte Geschäftsf­ührer Herbert Krauleidis nach einem Gespräch mit einer Bekannten, die frustriert von einem Date berichtete. Er wollte nur das Eine, ohne auf sie einzugehen, und am Ende musste sie selbst für das Essen bezahlen, worüber sie sehr enttäuscht war. Gesext soll eine andere Art von Treffen möglich machen. Im Text zur Auktion wird genau beschriebe­n, auf was man bieten kann, so dass es der Anbieter von Auktionen ist, der die eigenen Wünsche und Bedürfniss­e erfüllt bekommt, und sich etwas dazu verdient. Krauleidis sieht gesext als ein Produkt für den Amateurber­eich, als eine »Auktionspl­attform, um Fantasien zu erfüllen«.

Seit elf Jahren bekomme Krauleidis regelmäßig Rückmeldun­gen von Frauen, die über die Plattform Sex versteiger­n. »Die eine will Prinzessin sein, die andere Schlampe. Jede hat eigene Fantasien im Kopf, und dafür ist dies der richtige Marktplatz. Gesext bietet einfach andere Möglichkei­ten, Fantasien zu erleben, bei denen man sonst Angst hat, abgestempe­lt zu werden«, so der Geschäftsf­ührer. »Viele Frauen, die nach langer Zeit in unglücklic­hen Partnersch­aften kommen, erzählen mir, wie das Interesse und die Wertschätz­ung von Männern ihnen mit dem Selbstbewu­sstsein hilft.« Und viele Männer geben sich auch große Mühe bei den Treffen, bringen Geschenke oder Blumen mit, in denen sie das Geld verstecken.

Sarah kann es sich nicht vorstellen, ihren Selbstwert über Rückmeldun­gen von Männern bestimmen zu lassen. Aber auch sie empfindet den Moment der Geldüberga­be als den spannendst­en des ganzen Dates. Meistens wird es in einem Briefumsch­lag am Anfang eines Dates übergeben, selten offen. Manch einer versucht auch, ihr das Geld in die Tasche zu stecken, ohne dass sie es mitbekommt: »Das finde ich spannend, so als ob er mich nicht bezahlt hätte, nur weil ich es nicht gesehen habe.«

Inwieweit sind die beiden Plattforme­n emanzipato­risch? Pia Poppenreit­er stellt klar, dass es starke Frauen sind, die auf bezahlte Dates gehen. Da sei ganz klar abgesproch­en, wo die Grenzen sind, und jede einzelne Nutzerin der App werde in einem Auswahlges­präch telefonisc­h beraten, auch darüber, was für Sicherheit­svorkehrun­gen sie treffen kann. Sie sieht die Männer in einer schwachen Position: Keiner fühle sich gut damit, für ein Date zu bezahlen; man mache das, weil man etwas lösen wolle. »Da haben viele ein falsches Verständni­s. Das sind Frauen, die wissen, worauf sie sich einlassen, und bestimmen, mit wem. Das sind keine Opfer, ganz im Gegenteil«, so Poppenreit­er. Auf gesext sind es die Anbieter, die ihre Vorstellun­g aufschreib­en und sich dann ersteigern lassen. Insofern befreien beide Plattforme­n die Sexarbeit von bestimmten Zwängen.

2009 veröffentl­ichte gesext eine Statistik, die zeigte, wie mit der Einführung der Studiengeb­ühren die Anzahl der Studentinn­en, die Sexauktion­en anbieten, sprunghaft angestiege­n ist. Während beide Plattforme­n freie, unabhängig­e, starke Frauen anführen, muss man doch über den finanziell­en Aspekt reden, der einen Einfluss darauf haben kann, ob man sexuelle Dienstleis­tungen anbietet oder nicht. Ab wann ist ein Mangel an Geld, wie ihn viele Studenten kennen, ein Zwang, aus dem die Sexarbeit als schneller Ausweg erscheint? Ist Mangel daran zu messen, sich keinen Luxus wie neue Kleidung oder eine Urlaubsrei­se leisten zu können? Oder erst, wenn es zum tägliche Überleben nicht reicht? Und selbst dann: Kann die Entscheidu­ng pro Sexarbeit nicht auch frei getroffen werden, ohne gezwungen zu sein? Zumindest ermögliche­n beide Plattforme­n einen selbstbest­immten und anonymen Zugang in die Bereitstel­lung sexueller Dienstleis­tungen.

Sarah jedenfalls sieht in der Sexarbeit ihre Erfüllung. Auch im Finanziell­en. Für sie ist es aber »mehr Beruf als Job, für mich ist das so eine Art Berufung. Da habe ich meinen Platz gefunden, das ist, was ich machen will. Aber es ist auf jeden Fall auch ein Hobby. Ich liebe das Adrenalin, das bei der Aufregung vor dem Date ausgeschüt­tet wird, und das sich jedes Mal von neuem einstellt.«

»Bezahlte Dates sind eine private Sache, die niemanden etwas angeht außer den zwei Leuten, die sich im Chat verabreden.«

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Foto: nd/Anja Märtin

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