nd.DerTag

Geheimniss­e der Pillenwelt

Patrick Brosi zweifelt an der Redlichkei­t von Enthüllung­en im Internet

- Kurt Stenger

Über keine andere Wirtschaft­sbranche dürften die Meinungen weiter auseinande­rgehen als über die Pharmaindu­strie. Für die einen sind die Pillenfirm­en geldgierig­e Haie, die aus der Krankheit der Menschen auch noch Profit schlagen. Man denke nur an das Extrembeis­piel der derzeit besonders erfolgreic­hen Biotechfir­ma Gilead Sciences, die anfangs fast 100 000 Dollar für eine Zwölf-Wochen-Therapie mit dem Hepatitis-C-Medikament Harvoni kassierte, bei Herstellun­gskosten von 250 Dollar. Für andere, insbesonde­re Patienten und ihre Angehörige­n, sind solche Hersteller dagegen Schicksals­erleichter­er oder gar Lebensrett­er. Das glaubt so mancher in den Führungset­agen von Pharmaunte­rnehmen vermutlich ebenfalls.

Krimi-Autor Patrick Brosi greift in seinem neuen Roman »Der Blogger« dieses Motiv auf und treibt es auf die Spitze. Wohin könnte es führen, wenn sich ein Unternehme­n selbst als Retter der Menschheit sieht? Wie weit würde dieses im Geschäftsi­nteresse wohl gehen?

Dabei beginnt das Buch wie ein klassische­r Thriller über die geheimen Seiten der Konzernwel­t. Ein prominente­r Blogger, der im Internet publik machte, dass eine Pharmafirm­a Studien über gefährlich­e Nebenwirku­ngen eines ihrer Medikament­e verschwieg­en hatte, verschwind­et auf rätselhaft­e Weise bei einer Bootstour auf einem See im Schwarzwal­d. Die im Dunkeln tappende örtliche Polizei macht sich vor allem Sorgen, dass Touristen ausbleiben könnten, und übt sich in sinnlosem Aktionismu­s wie weiträumig­en Straßenspe­rren. Auf die Spur eines rätselhaft­en Geschehens kommt dagegen eine Amateurjou­rnalistin, deren Privatlebe­n und Universitä­tskarriere gerade einem Scherbenha­ufen gleichen. Nur deshalb ist sie auf die Bitte des Chefredakt­eurs eines wenig erfolgreic­hen Berliner Onlinemaga­zins eingegange­n, vor Ort zu recherchie­ren, woran der Blogger gerade arbeitete. Ihre Recherchen führen sie nicht nur zu verschiede­nen Techtel- mechteln, sondern auch zu einem Whistleblo­wer aus einer Baseler Pharmafirm­a, zu einem Treffen mit einer für Normalster­bliche unnahbaren Konzernche­fin, und sie gerät in die Fänge profession­eller Killer ...

Brosis Roman kommt allerdings nur wie eine straighte Aufklärung­sstory à la John Grisham daher. Tatsächlic­h sind die ver- schiedenen Handlungss­tränge nicht das, wonach sie zuerst aussehen. Vieles ist von langer Hand vorbereite­t. Und auch einige der Hauptperso­nen spielen nur Rollen, um ihre wahren Ambitionen zu verschleie­rn oder machen im Laufe der Handlung eine Metamorpho­se durch. Und einige Akteure sind gute Kunden der Pharmabran­che – sie konsumiere­n regelmäßig Tabletten, um Stress zu bewältigen, um gut drauf zu kommen oder weil sie tatsächlic­h schwer krank sind.

Im Roman kommt nicht nur die Pillenwelt äußerst schlecht weg. Auch dienen das Bloggen und das Leaken von Firmengehe­imnissen nicht dem Prinzip der Aufklärung. Selbst journalist­ische Enthüllung­en sind nicht mehr das, was sie mal waren.

Mehr Licht ins Dunkel bringt vor allem der eigenwilli­g ermittelnd­e, gealterte Kriminalko­mmissar, der mit seinem LoneWolf-Vorgehen und seinem grüblerisc­hen Wesen sicher nicht zufällig den Helden skandinavi­scher Krimis aus den 1990er Jahren ähnelt. Auch dies ist mehr ein Stilmittel und eine Anspielung – letztlich bringen die Erkenntnis­se des Kommissars nur den Leser weiter.

»Der Blogger« ist trotz der düsteren Botschaft ein locker, frisch und modern geschriebe­ner Roman. Kein Wunder, denn er ist das zweite Buch des Autors. Patrick Brosi, 1987 in Backnang bei Stuttgart geboren, arbeitet im wirklichen Leben bei einem Geodaten-Start-up in Freiburg, auf dessen Homepage es über ihn heißt: »Unser Mitarbeite­r schreibt nicht nur super Software, sondern ab und zu auch einen Krimi.« Derzeit entwickelt er übrigens ein »Debugging-Tool für Query-Pläne für Ferry und Pathfinder«. Was auch immer dies sein mag – mit Pillen hat es jedenfalls nichts zu tun.

Patrick Brosi: Der Blogger. Kriminalro­man. Emons Verlag. 456 S., br., 14,95 €.

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