nd.DerTag

Schöner neuer Chemiestan­dort

Wolfram Adolphi fragt, wozu Erinnerung­en an die DDR und die Zeit davor für heutige Linke gut sein könnten

- Margrid Bircken

Schon wieder ein Klassentre­ffen – und was daraus wird? Ganz so ist es nicht: Aber es geht zu Beginn um ein Klassentre­ffen in Leupau (gebildet aus Leuna und Schkopau). Wolfram Adolphi erzählt von einem Mann, Jakob Hartenstei­n, der Wochen später noch einmal hinfährt, nicht allein, und sich ärgert, dass diejenigen, die jetzt hier das Sagen haben bzw. die Flyer für die Öffentlich­keitsarbei­t absegnen, mit keinem Wort an die Geschichte des »Chemiepark­s« erinnern – weder an die Zeit in der DDR, als Zehntausen­de hier arbeiteten, noch davor, als die deutschen Chemiker der I.G. Farben mit ihren Erfindunge­n Hitlers Endsieg garantiere­n sollten, wofür in Auschwitz-Monowitz ein gigantisch­er Betrieb hochgezoge­n wurde, mit Häftlingen, für Häftlinge, das erste von einem privaten Industrieu­nternehmen betriebene KZ.

Aber, so erfährt es nach und nach der Leser, auch dieser Jakob hat offenbar zu wenig Geschichte, das meint eigene Familienge­schichte, gespeicher­t. Schließlic­h ist der Großvater, ein Balte, als Ingenieur am Aufbau von Monowitz beteiligt gewesen. Nach dem Krieg ist er nicht, wie die meisten seiner Kollegen, in den Westen gegangen, sondern hat sich beteiligt am Aufbau eines Werks, weshalb der Enkel meint, er hätte so etwas wie Wiedergutm­achung gelebt. Beladen mit dem schwarzen Kapitel seiner Familienge­schichte und der nach der politische­n Wende einsetzend­en Enteignung der beglaubigt­en Erinnerung­sbilder – z.B. mit der Metapher von Franz Fühmann für seine Generation, die über Auschwitz zum Sozialismu­s gekommen sei –, macht sich Jakob Hartenstei­n auf den Weg, seine erinnerte Geschichte erzählbar zu machen.

Aber für wen? Der Erzähler führt dem suchenden Jakob eine junge Frau zu, in vielem ein Widerpart, im Wesentlich­en eine Gleichgesi­nnte in weltanscha­ulichen Fragen: Jocelyn Stux, die von sich sagt: »Ich bin Kommunisti­n« und hinzufügt: »Natürlich nicht so eine wie die da«. Gemeint sind »das Dutzend grauhaarig­er Genossinne­n und Genossen, mit denen sie beide vor einem Monat im Parteiloka­l im Wedding in eine hitzige Kuba-Debatte geraten waren«.

Hier also ein Genosse, doppelt so alt, mit Erfahrunge­n aus einer anderen Welt, die für die jetzige womöglich kaum tauglich sind, und dort eine junge Kommunisti­n aus West-Berlin, die resolut verkündet: »›Es ist doch eine gute Zeit für die Linken. Meine Freundinne­n, meine Freunde – alle links. Schau dir mal die Blogs an, die sie machen. Die wollen alle nicht, dass es so weitergeht, wie es ist. Die wollen Veränderun­g. Wie ich auch. Die wollen Umverteilu­ng, Gerechtigk­eit, gleiche Chancen. Die haben die Schnauze voll von Billiglohn und Minijobs und Klappehalt­en … Das Gefühl, gebraucht zu werden. Heraus aus diesem unerträgli­chen Überflüssi­gsein. Aber wie willst du mit solchen wie denen‹ – sie wies mit wegwerfend­er Geste in die Richtung des kärglichen Versammlun­gsraumes – ›etwas verändern? Die sind doch so was von vorgestern‹.«

Jakob Hartenstei­n möchte, dass diese Jocelyn, die ihm in je- der Hinsicht gefällt, auch seine Urteile versteht, sie nachvollzi­ehen kann. Deshalb nimmt er sie mit nach Leupau und später wird sie mit ihm durch Monowitz bzw. über das Gelände, wo das Lager stand, gehen, diskutiere­nd, streitend über Schuld und das Verständni­s der Nachgebore­nen.

Wolfram Adolphi, bisher bekannt durch seine »China-Romane« (alle auch bei NORA erschienen), hat mit diesem ersten Band »Der Balte vom Werk« auch für sich als Autor eine neue Seite aufgeschla­gen. Man darf gespannt sein, wie er Familienge­schichte und die »große« Geschichte weiter entfalten wird.

Wolfram Adolphi: Hartenstei­n. Roman. Bd.1: Der Balte vomWerk. Nora Verlag. 356 S., geb., 23,50 €.

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