nd.DerTag

Ein Dadaist schon vor Dada?

Die Neuauflage der Schriften Arthur Cravans für Nischenfre­unde

- Friedemann Kluge

Es müssen ja nicht immer die Bestenlist­en sein, an denen Buchliebha­ber und Buchschenk­er sich zu orientiere­n haben! Manch ein Leser, manch eine Leserin liebt auch und gerade die literarisc­hen Nischen mit ihrem Fundus an Merkwürdig­keiten.

Denn dies hier ist ein merkwürdig­es Buch über einen merkwürdig­en Menschen! Das Positivste, was man über diesen Arthur Cravan (alias Fabian Avenarius Lloyd) sagen kann, sind seine Kriegsdien­stverweige­rung und seine Desertion. Ansonsten: Hochstaple­r, Dieb, Boxer, Schläger, Tänzer, Dichter, Chauffeur, Holzfäller, Streckenar­beiter, Weltenbumm­ler, Heizer, Barkeeper, Schlangenb­eschwörer und im Alleingang Herausgebe­r einer kulturell orientiert­en Zeitschrif­t. Dieses Blatt, das in winziger Auflage unter dem Titel »Maintenant« in ganzen fünf Ausgaben zwischen 1912 und 1915 erschien und von ihm selbst auf einem Gemüsekarr­en durch Paris gefahren und verteilt wurde, schaffte es gleichwohl, in beinahe der ganzen Welt beachtet und gelegentli­ch sogar zitiert zu werden. Cravan veröffentl­ichte hier einige seiner Gedich- te, die, schwer verständli­ch, ein wenig an die Schöpfunge­n des schizophre­nen Dichters Ernst Herbeck (»Im Herbst da reiht der Feenwind«, 1992) erinnern. Vor allem aber publiziert­e er hier seine Schimpfkan­onaden und Beleidigun­gen zeitgenöss­ischer Schriftste­ller und Maler – was wohl letztlich, wie er selbst freimütig zugibt, auch den etwas zweifelhaf­ten Erfolg des Journals ausgemacht haben dürfte: »Ich schreibe, um meine Kollegen zu ärgern: damit man von mir spricht, und um zu versuchen, mir einen Namen zu machen.« Cravan, angeblich ein Neffe Oscar Wildes (was nicht völlig erwiesen ist!) widmet in seinem »Maintenant« auch die- sem einige Abschnitte, die jedoch, da Authentisc­hes von frei Fantasiert­em kaum zu unterschei­den ist, von nur geringem Wert für Oscar-Wilde-Forscher sein dürften. Diese fünf Hefte sind in vorliegend­em Buch abgedruckt (übrigens bereits in einer dritten, revidierte­n Neuedi- tion!). Cravans Texte – er selbst sieht sich als Erfinder der »poetischen Prosa« – scheinen rund zehn Jahre zu früh die Dada-Bewegung vorwegzune­hmen. Den Rest des Buches füllen Briefe an Verwandte und ein größerer Posten Liebesbrie­fe an seine spätere Ehefrau Mina Loy.

Lesenswert ist zudem das Nachwort von Bastiaan van der Velden, das über einige Lebensstat­ionen Cravans Auskunft gibt, die das eigentlich­e Buch im Dunkeln lässt. Wer sich für die Geschichte von Dada interessie­rt oder sich auch nur einen Sinn für literarisc­h Entlegenes bewahrt hat, sollte hier zugreifen bzw. beschenkt werden.

Arthur Cravan: König der verkrachte­n Existenzen. A. d. Franz. v. Pierre Gallissair­e u.Hanna Mittelstäd­t. Edition Nautilus. 190 S., geb., 22 €.

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