Hoelz und Mühsam schmachteten dort
Hans Coppi und Kamil Majchrzak erinnern an das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg
Seit geraumer Zeit ist ein zunehmendes Interesse an der Geschichte von kleineren Konzentrationslagern, Außen- und Nebenlagern zu beobachten, deren Insassen nicht minder litten wie die Kameraden in den großen und mittlerweile gut erforschten großen Konzentrations- und Vernichtungslagern. Die polnische Gemeinde Słońsk in der Nähe Küstrins setzt sich seit vielen Jahren engagiert mit ihrem deutschen Erbe auseinander, zu dem das KZ und Zuchthaus Sonnenburg gehört.
In diesem Jahr wurde in Słońsk das dort bereits zu Zeiten der Sozialistischen Volksrepublik Polen existierende, nunmehr sanierte und inhaltlich überarbeitete Museum neu eröffnet. Beteiligt an der Neugestaltung dieses europäischen Gedenk- und Mahnortes, zu dem ein Friedhof mit 16 Massengräbern gehört, war der Berliner VVN-BdA. Dessen Forschungsergebnisse werden in dem von Hans Coppi und Kamil Majchrzak herausgegebenen Band vorgestellt, das zugleich das erste Buch in deutscher Sprache über Sonnenburg ist. Das internationale Autorenkollektiv besteht nicht nur aus Historikern, Politikwissenschaftlern, Journalisten und Studierenden, sondern auch aus Angehörigen ehemaliger Häftlinge, deren Einzelschicksale dem erlebten Grauen erst ein Gesicht geben.
In der um 1830 erbauten königlich-preußischen Haftanstalt schmachteten berühmte Gefangene wie die 1847/48 um die Unabhängigkeit ihres Landes kämpfenden polnischen Patrioten Ludwik Mierosławski und Karol Libelt. Hier verbrachte Wilhelm Voigt, der spätere Hauptmann von Köpenick, viele Jahre wegen Fälschung von Postanweisungen. Einer der bekanntesten Häftlinge der Weimarer Republik war der Kommunist und Anarchist Max Hoelz. Er wurde dort vom sowjetischen Journalisten Michail Kolzov besucht. Dessen Sonnenburg-Reportage galt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als ein Paradebeispiel für investigativen Journalismus. Hundert Jahre war das Zuchthaus in Betrieb, bis es 1931 aus hygienischen Gründen seine Pforten schloss.
Die nach dem Reichstagsbrand am 28. Februar 1933 von den Nazis erlassene sogenannte Reichtagsbrandverordnung eröffnete die Hatz auf politische Gegner. Schnell füllten sich die Berliner Gefängnisse, und Sonnenburg wurde als ein frühes KZ reaktiviert. Hier begann für den Publizisten Carl von Ossietzky, den Juristen Hans Litten und den Schriftsteller Erich Mühsam ein Martyrium, das mit dem Tod endete. Aber auch die anderen, weniger prominenten Häftlinge waren den sadistischen Folterknechten ausgeliefert. Der Kommunist Fritz Lange erinnerte sich, wie er und seine Kameraden nach Ankunft auf dem Bahnhof Sonnenburg den etwa 15 bis 20 Minuten langen Weg von der SA mit Peitschenhieben ins Lager getrieben wurden. Die Sterbequote lag hier weit über dem Durchschnitt anderer Haftanstalten.
Von 1942 bis 1944 waren in Sonnenburg über 1500 Opfer des berüchtigten Nacht- und Nebel-Erlasses vom 7. Dezember 1941 aus Norwegen und Westeuropa eingekerkert. Sie waren heimlich nach Deutschland verschleppt worden, ohne dass die Angehörigen Auskunft über ihren Aufenthaltsort erhielten. Ihr spurloses Verschwinden sollte der Abschreckung dienen. Kurz vor der Befreiung durch die Rote Armee erfolgte der Befehl zur Evakuierung des Zuchthauses. In der Nacht vom 30. zum 31. Januar 1945 erschoss ein SS-Kommando 819 Häftlinge.
Die Verantwortlichen für das Massaker wurden 1971 vom Landgericht Kiel freigesprochen. Am 24. Februar 2014 nahm die Örtliche Kommission zur Verfolgung der Verbrechen gegen die polnische Nation in Szczecin das seit 1972 ruhende Ermittlungsverfahren zu den Verbrechen in Sonnenburg wieder auf. Der Arbeitskreis der Berliner VVN-BdA wird die Ermittlungen durch eigene Recherchen aktiv unterstützen.
Hans Coppi/Kamil Majchrzak: Das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg. Metropol, 239 S., br., 19 €.