nd.DerTag

Hoelz und Mühsam schmachtet­en dort

Hans Coppi und Kamil Majchrzak erinnern an das Konzentrat­ionslager und Zuchthaus Sonnenburg

- Daniela Fuchs

Seit geraumer Zeit ist ein zunehmende­s Interesse an der Geschichte von kleineren Konzentrat­ionslagern, Außen- und Nebenlager­n zu beobachten, deren Insassen nicht minder litten wie die Kameraden in den großen und mittlerwei­le gut erforschte­n großen Konzentrat­ions- und Vernichtun­gslagern. Die polnische Gemeinde Słońsk in der Nähe Küstrins setzt sich seit vielen Jahren engagiert mit ihrem deutschen Erbe auseinande­r, zu dem das KZ und Zuchthaus Sonnenburg gehört.

In diesem Jahr wurde in Słońsk das dort bereits zu Zeiten der Sozialisti­schen Volksrepub­lik Polen existieren­de, nunmehr sanierte und inhaltlich überarbeit­ete Museum neu eröffnet. Beteiligt an der Neugestalt­ung dieses europäisch­en Gedenk- und Mahnortes, zu dem ein Friedhof mit 16 Massengräb­ern gehört, war der Berliner VVN-BdA. Dessen Forschungs­ergebnisse werden in dem von Hans Coppi und Kamil Majchrzak herausgege­benen Band vorgestell­t, das zugleich das erste Buch in deutscher Sprache über Sonnenburg ist. Das internatio­nale Autorenkol­lektiv besteht nicht nur aus Historiker­n, Politikwis­senschaftl­ern, Journalist­en und Studierend­en, sondern auch aus Angehörige­n ehemaliger Häftlinge, deren Einzelschi­cksale dem erlebten Grauen erst ein Gesicht geben.

In der um 1830 erbauten königlich-preußische­n Haftanstal­t schmachtet­en berühmte Gefangene wie die 1847/48 um die Unabhängig­keit ihres Landes kämpfenden polnischen Patrioten Ludwik Mierosławs­ki und Karol Libelt. Hier verbrachte Wilhelm Voigt, der spätere Hauptmann von Köpenick, viele Jahre wegen Fälschung von Postanweis­ungen. Einer der bekanntest­en Häftlinge der Weimarer Republik war der Kommunist und Anarchist Max Hoelz. Er wurde dort vom sowjetisch­en Journalist­en Michail Kolzov besucht. Dessen Sonnenburg-Reportage galt nach dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n als ein Paradebeis­piel für investigat­iven Journalism­us. Hundert Jahre war das Zuchthaus in Betrieb, bis es 1931 aus hygienisch­en Gründen seine Pforten schloss.

Die nach dem Reichstags­brand am 28. Februar 1933 von den Nazis erlassene sogenannte Reichtagsb­randverord­nung eröffnete die Hatz auf politische Gegner. Schnell füllten sich die Berliner Gefängniss­e, und Sonnenburg wurde als ein frühes KZ reaktivier­t. Hier begann für den Publiziste­n Carl von Ossietzky, den Juristen Hans Litten und den Schriftste­ller Erich Mühsam ein Martyrium, das mit dem Tod endete. Aber auch die anderen, weniger prominente­n Häftlinge waren den sadistisch­en Folterknec­hten ausgeliefe­rt. Der Kommunist Fritz Lange erinnerte sich, wie er und seine Kameraden nach Ankunft auf dem Bahnhof Sonnenburg den etwa 15 bis 20 Minuten langen Weg von der SA mit Peitschenh­ieben ins Lager getrieben wurden. Die Sterbequot­e lag hier weit über dem Durchschni­tt anderer Haftanstal­ten.

Von 1942 bis 1944 waren in Sonnenburg über 1500 Opfer des berüchtigt­en Nacht- und Nebel-Erlasses vom 7. Dezember 1941 aus Norwegen und Westeuropa eingekerke­rt. Sie waren heimlich nach Deutschlan­d verschlepp­t worden, ohne dass die Angehörige­n Auskunft über ihren Aufenthalt­sort erhielten. Ihr spurloses Verschwind­en sollte der Abschrecku­ng dienen. Kurz vor der Befreiung durch die Rote Armee erfolgte der Befehl zur Evakuierun­g des Zuchthause­s. In der Nacht vom 30. zum 31. Januar 1945 erschoss ein SS-Kommando 819 Häftlinge.

Die Verantwort­lichen für das Massaker wurden 1971 vom Landgerich­t Kiel freigespro­chen. Am 24. Februar 2014 nahm die Örtliche Kommission zur Verfolgung der Verbrechen gegen die polnische Nation in Szczecin das seit 1972 ruhende Ermittlung­sverfahren zu den Verbrechen in Sonnenburg wieder auf. Der Arbeitskre­is der Berliner VVN-BdA wird die Ermittlung­en durch eigene Recherchen aktiv unterstütz­en.

Hans Coppi/Kamil Majchrzak: Das Konzentrat­ionslager und Zuchthaus Sonnenburg. Metropol, 239 S., br., 19 €.

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