Kreativer Widerstand gegen Atomanlagen
Politische Aktivisten erzählen aus der 40-jährigen Geschichte der westdeutschen Anti-AKW-Bewegung
Die bundesdeutsche Anti-AtomBewegung hat immer wieder Zehntausende gegen Atomwaffen und -energie auf die Straße mobilisiert. In den vergangenen 40 Jahren kämpfte die Bewegung hauptsächlich gegen Bau und Betrieb von Atomanlagen. Einige bislang unerzählte Protestgeschichten aus dieser Zeit versammelt die Neuerscheinung des Herausgeberkollektivs Tresantis.
Eine Besonderheit des Buches: Die Texte stammen aus der Feder von politisch Aktiven, die ihre Erlebnisse aus ihrer oft subjektiven Sicht schildern. Sie berichten über den Widerstand gegen den westdeutschen Atom- und Poli- zeistaat, von Wyhl und Wackersdorf – wo in den 70ern ein AKW bzw. in den 80ern eine Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) verhindert werden konnte – bis ins Wendland und den Gorlebener Salzstock, wohin zuletzt im Jahr 2011 mit einem Aufgebot von 19 000 Polizisten mehrere Castoren mit hochradioaktivem Atommüll transportiert wurden.
Das Buch erzählt von der Vielfalt und dem Ideenreichtum der Bewegung und verspricht eine spannende Lektüre besonders für politisch Interessierte, die die Zeit nicht selbst miterlebt haben.
Allein was den Atomkraftgegnern immer wieder eingefallen ist, um die seit 1995 nach Gorle- ben rollenden Castor-Transporte aufzuhalten, demonstriert Fantasie und Kreativität. Hierzu zählen große Kampagnen für zivilen Ungehorsam, der von Sitzblockaden bis zum massenhaften Entschottern des Gleisbettes reichte, an denen sich mehrere Tausend Menschen beteiligten. Gleichzeitig gab es auch direkte Aktionen, die nur ein kleinerer Kreis von Eingeweihten durchführte. Mitglieder der Bäuerli- chen Notgemeinschaft brachten beispielsweise eine Betonpyramide auf die Schienenstrecke und ketteten mit einem komplizierten Mechanismus ihre Arme darin fest. Bis zu ihrer Befreiung vergingen 15 Stunden, solange musste der Atomtransport auf seine Weiterfahrt warten.
Andere Texte und Gespräche handeln von Hakenkrallen auf Bahnoberleitungen, die den Zugverkehr lahmlegten, und Straßenunterspülungen durch Anzapfen der dort verlaufenden Wasserleitungen. Dabei enthüllen die Autoren technische Finessen, schreiben aber auch über ihre Ängste und Anspannungen während der Aktionen.
Dass sich die Protestformen selten im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben bewegen, gehört zum Charakter der Bewegung. Schon früh lautete ein Motto entschlossener Atomkraftgegner: »Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.« Immer wieder haben sie die Grenzen zwischen legal und legitim für sich neu abgesteckt.
Ein Narrativ des Buches ist das solidarische Neben- und Miteinander der unterschiedlichen Akteure und ihrer Aktionsformen. Anwohner, Bauern, radikale Linke handeln zwar nicht immer gemeinsam, respektieren aber ihre jeweiligen Proteste und freuen sich auch über die Erfolge der anderen. Und erst die bunte Mischung macht die Stärke des Anti-Atom-Widerstands aus.
Dieses Zusammenspiel wurde schon in Wackersdorf vom SPDLandrat gewürdigt: »Ohne die Autonomen hätten wir die WAA nicht verhindert.« Deshalb stimmt es etwas traurig, in einem der Interviews zu lesen, dass ausgerechnet Teile der Autonomen 2011 gefordert haben, nahestehende Mitstreiter »aktiv politisch zu bekämpfen«. Der auch in der radikalen Linken vorhandene Drang zur Abgrenzung und Distanzierung ist oft Anlass zu Streit, weil eine Mehrheit diese Kinderkrankheit überwinden will.
Tresantis (Hg.): Die Anti-Atom-Bewegung. Geschichte und Perspektiven. Assoziation A. 384 S., br., 24,80 €.