Das Krebsgeschwür, das die Demokratie bedroht
Daniel Bax polemisiert gegen die irrationale Angst des Abendlandes vor einer Islamisierung
»Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst der ›Islamisierung‹.« Daniel Bax, Redakteur bei der »taz«, hat sich des Gespenstes angenommen, das viele Menschen heute nutzen, um ihre Angstlust geradezu zu zelebrieren und das rechtspopulistischen Parteien in Europa Zulauf beschert sowie Fußballhooligans randalieren lässt: Europa könnte angesichts eines demografischen Wandels und zunehmender Einwanderung dereinst von den Regeln eines uns wertefremden, konservativen Islam geprägt werden.
Einer Studie von 2012 zufolge meinten zwar 80 Prozent der Deutschen, man müsse allen Religionen gegenüber offen sein, aber den Islam empfanden 53 Prozent doch als Bedrohung; zwei Jahre darauf waren es bereits 57 Prozent. Im gleichen Jahr wurden in Deutschland 45 Übergriffe auf Moscheen registriert, wobei das Spektrum von Hakenkreuzschmierereien über Brandsätze bis Bombendrohungen reicht.
Bax fragt, wie substanziell die angebliche Bedrohung ist. Er stellt fest, dass sich das Gespenst bei Tageslicht betrachtet als wenig bedrohlich erweist. Deutschland liegt mit einem Anteil von fünf Prozent Einwanderern aus muslimischen Ländern sowie deren Nach- kommen im europäischen Mittelfeld. Nach seriösen Prognosen dürfte sich die Zahl der Muslime in Europa bis 2030 auf etwa 58 Millionen, d. h. von jetzt durchschnittlich sechs auf acht Prozent der Bevölkerung erhöhen. 2050 könnten die Muslime in ganz Europa ca. zehn Prozent ausmachen, wobei sich deren Geburtenrate immer mehr dem europäischen Mehrheitsdurchschnitt angleicht. Wenn sich also muslimische Zuwanderung unter demografischen Gesichtspunkten für das alternde Deutschland nicht als bedrohlich darstellt, sondern eher deren Ausbleiben bedrohlich wäre – warum wuchs in der allgemeinen Wahrnehmung das Bedrohungsszenario?
Bax bietet eine Erklärung an: Spätestens seit dem 11. September 2001 sind Islamfeindlichkeit, antimuslimischer Rassismus und Islamophobie zu einer regelrechten »Ideologie der Ungleichwertigkeit« geworden. Der Autor hätte an dieser Stelle ergänzen können, dass dazu in erheblichem Maße die westlichen Antiterrorstrategen beitrugen, die jene Phänomene zu staatspolitisch gewollter ideologischer Trägerschaft von Kriegen machten, welche insbesondere unsere islamische Nachbarschaft trafen. So sah die CDU im 11. September den Beleg da- für, »dass an die Stelle des OstWest-Konflikts eine Auseinandersetzung um die zivilisatorischen Werte getreten ist, auf die sich eine globale Ordnung stützen muss«. Das Menetekel eines »clash of civilisations« und der Bedrohung des »Abendlandes« durch islamistischen Terror, die Transformation des 11. Septembers in einen NATO-Bünd- nisfall wirkten als Schleusenöffner für eine Ideologie von äußerst negativer innen- und außenpolitischer Wirkungsmächtigkeit: Unter Muslimen und Islamisten wuchs Hass gegen den säkularen Westen, den wiederum dessen innen- und außenpolitische Brandstifter als Rechtfertigung ihres Anti-Islamismus benötigten.
In ihrem Friedensgutachten 2015 qualifizierten sechs deutsche Friedensforschungsinstitute den »War on Terror« als »fatal«. Analog hat Bax ein kritisches »Friedensgutachten« innerdeutscher und innereuropäischer Islampolitik vorgelegt, welches den Leser mit seiner bestechenden Material- und Analysefülle zum gleichen Prädikat führt: Die Panik schürende Rhetorik »Rettet das Abendland« von Pegida bis zur CSU anstelle des vormaligen rigiden Antikommunismus ist in höchstem Maße »fatal«.
Ausgehend von den historischen Wurzeln der Islamfeindlichkeit zeichnet der Autor die konservativen, »abendländischen« Schlachtlinien des 20. Jahrhunderts nach und führt sie fort bis zu Huntingtons Formel von den kulturellen Differenzen als bestimmender Triebkraft der Konflikte der Zukunft. Ausgesprochen aufschlussreich und informativ sind die Recherchen von Bax darüber, wie ultrakonservative Kreise der USA und Europas in den letzten zehn Jahren die Debatte um den Islam auf die Kultur- und Werteachse verlagerten und wie sie geschickt gesellschaftliches Unterbewusstsein ansprechen. Es entstand ein »transatlantischer Kommunikationsraum mit bestimmten Ideen, Schlagwörtern und Argumentationsmustern, die in nationalen Echokammern widerhallen«. In den USA wirkt ein engmaschiges Netzwerk von Islamhassern, dessen Einfluss bis nach Europa reicht und dass in den Jahren 2001 bis 2015 aus ultrakonservativen Stiftungen 57 Millionen US-Dollar zugesteckt bekam. Bax setzt sich dankenswerterweise auch mit anti-islamischen »Kronzeugen« aus muslimischen Ländern auseinander, wie etwa mit Abdel Samad (»Der islamische Faschismus«). Desweiteren äußert er sich sachkundig zur Kopftuchfrage und zum Karikaturenstreit. Er weicht keiner »kitzligen« Frage aus, scheut nicht davor zurück, Ross und Reiter beim Namen zu nennen, ob es sich nun um den Papst oder deutschen Bundespräsidenten, um Merkel, Sarkozy, Cameron, Broder, Sarrazin u. a. handelt.
Etwas kurzgriffig erscheint mir allerdings der »Ausblick«. Bax schreibt: »Die Debatte um den Islam in Europa ist im Kern eine Debatte um nationale und europäische Identität.« Wäre es nicht wichtiger, eine Korrektur fehlerhafter innen- und außenpolitischer Strategien zu fordern? Sie wäre bei gutem Willen seitens der europäischen Regierungen sofort möglich. Ein Jahrzehnt »War on Terror« schuf erst das Krebsgeschwür, das nun auch zunehmend die demokratischen Gesellschaften des Westens zu zerfressen droht.
Daniel Bax: Angst ums Abendland. Westend. 288 S., geb., 17,99 €.