nd.DerTag

Jenseits von Borobudur

André Vltchek über ein Archipel der Furcht: Indonesien

- Karlen Vesper

Das ist ein sehr trauriges Buch. Es berichtet von einem blutigen Putsch und Massakern, von Kriminalit­ät, Korruption und religiöser Indoktrina­tion. André Vltchek zeichnet ein Bild vom wahren Indonesien, das in den Medien kaum auftaucht.

Schon im Vorwort klagt der US-amerikanis­che linke Intellektu­elle Noam Chomsky die »mörderisch­e und bösartige Regierung Suhartos« an, die vom Westen nicht nur bewundert, sondern bei ihren empörenden Verbrechen unterstütz­t worden ist – weil sie das Land westlicher Ausbeutung öffnete. Chomskys Landsmann, der Diplomat und Historiker George F. Kennan, benannte bereits 1948 Indonesien als einen »Fixpunkt in der Kette von Inseln, die sich von Hokkaido bis Sumatra erstrecken, und die wir zu einer politisch-ökonomisch­en Gegenkraft zum Kommunismu­s entwickeln sollten« und »als Basis für mögliche US-militärisc­he Aktionen darüber hinaus«. Den antikommun­istischen Strategen war es ganz und gar nicht genehm, als der Archipel in den 1950er Jahren unter dem nationalen Befreiungs­führer Sukarno und unter Regierungs­beteiligun­g der Kommuniste­n einen unabhängig­en und selbstbewu­ssten Weg einschlug. Das brachte die Alarmglock­en in Washington zum Schrillen. Auf Unbehagen stieß dort zudem die 1955 im indonesisc­hen Bandung geborene Blockfreie Bewegung.

Auf 500 000 bis drei Millionen Ermordete wird die Zahl der Opfer des von den USA orchestrie­rten Putsches von 1965 geschätzt. Die Elite Indonesien­s, Schriftste­ller, Künstler, Lehrer, Gewerkscha­ftler und progressiv­e Offiziere, wurden heimtückis­ch gemeuchelt. Doch damit nicht genug. Der 1975 erfolgten Besetzung von Ost-Timor durch das Suharto-Regime folgte die Liquidieru­ng von etwa 30 Prozent der dortigen Bevölkerun­g. Und die stetigen Attacken auf Papua kosteten bis dato schon mindestens 120 000 Menschenle­ben, weiß Vltchek. Erst jetzt beginnt allmählich die Aufarbeitu­ng und Ahndung all der Verbrechen.

Den Untertitel seines Buches erklärt der 1963 in Leningrad geborene Autor, inzwischen Besitzer eines US-amerikanis­chen Passes, mit den verschiede­nen Arten von Furcht, die Indonesien­s »kleine Leute« bedrücken und einschücht­ern. Es genügt, einer ethnischen oder religiösen Minorität anzugehöre­n, um angefeinde­t und ausgegrenz­t zu werden. Da ist zudem die Furcht vor Krankheit, denn das indonesisc­he Gesundheit­ssystem ist eines der teuersten in Asien. Und man fürchtet, gesellscha­ftliche Probleme und politische Missstände offen anzusprech­en, obwohl Indonesien offiziell seit 1998 keine Diktatur mehr ist.

Die soziale Ungleichhe­it hat epische Proportion­en erreicht, berichtet Vltchek. »Ein üblicher Anblick in Indonesien sind obdachlose Kinder, die an Unterernäh­rung leiden und in offenen Abwässern spielen, direkt neben Luxus-Einkaufsze­ntren mit Markenname­n und Marmorböde­n und Luxusautos.« Indonesien scheint das Mitleid abhanden gekommen. Die »drittgrößt­e Demokratie der Welt«, wie es angesichts des Bevölkerun­gsreichtum­s heißt, bleibt in Modernisie­rung und Wirtschaft­skraft weit hinter China und Indien, aber auch Vietnam, Singapur, Malaysia, Thailand zurück. Die Kluft wird immer größer. Vltchek, der sich in Indonesien auskennt wie wenige Ausländer, berichtet auch über fatale Umweltsünd­en. Weiträumig­e Abholzunge­n zerstören Lebensräum­e und beschwören Katastroph­en herauf. Die Regierung scheint kein Interesse daran zu haben, die Umwelt zu bewahren. Sie zieht die Plünderung der Naturresso­urcen einer nachhaltig­en Entwicklun­g vor.

Vltchek zitiert die linke israelisch­e Journalist­in Amira Hass, die es nur zwei Tage in Jakarta aushielt: »Dieser Ort scheint noch disparater zu sein als Gaza.« Ein trauriges, aber wichtiges Buch, das allen Touristen, die nur die imposante Tempelanla­ge von Borobudur und die anmutigen Bali-Tänzerinne­n kennen, empfohlen sei.

André Vltchek: Indonesien. Archipel der Furcht. Vorwort von Noam Chomsky. A. d. Engl. v. Einar Schlereth. Zambon. 258 S., br., 20 €.

Newspapers in German

Newspapers from Germany