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Fundierte linke Kapitalism­uskritik

Detlef Hartmann hat eine Streitschr­ift gegen Alan Greenspan und die allmächtig­e US-Zentralban­k verfasst

- Peter Nowak

Wenn ein Buch mit dem marktschre­ierischen Satz beworben wird, dass darin »die unentdeckt­e Agenda eines epochalen kapitalist­ischen Angriffs« offengeleg­t werde, »dessen Ende nicht in Sicht ist und dessen Folgen für die große Mehrheit der Weltbevölk­erung katastroph­al sind«, ist man zunächst skeptisch. Doch dieses Buch ist in einem für gute linke Literatur bekannten Verlag erschienen. Und der Autor selbst ist bekannt.

Detlef Hartmann hat seit mehr als 40 Jahren als einer der wichtigste­n deutschspr­achigen Theoretike­r des Operaismus einen Namen. Bei diesem sperrigen Begriff handelt es sich um eine linke Strömung, die ihren Aus- gangspunkt in den frühen 1960er Jahren in Italien nahm, sich von den kommunisti­schen Parteien und vom MarxismusL­eninismus abgrenzte. Der Operaismus setzt nicht auf Eroberung der Macht, sondern stellt den Kampf der Menschen gegen die Fabrikarbe­it und die Zumutungen der kapitalist­ischen Gesellscha­ft in den Mittelpunk­t.

Auch in seinem neuesten Buch liefert Hartmann fundierte Kapitalism­uskritik. Es ist der erste Band einer Trilogie, die unter dem Obertitel »Krisen – Kämpfe – Kriege« steht. Hartmann hat sich gründlich in das Archiv der Federal Reserve System (FED), der US-Zentralban­k, eingearbei­tet, Ansprachen, Reden und Schriften von dessen Präsidente­n Alan Greenspan und seinen engsten Mitarbeite­rn ausgewerte­t. Der Autor schildert deren Rolle bei der Zertrümmer­ung des fordistisc­hen Kapitalism­us, bei der auch gleich dessen Leitbild, der Homo Oeconomicu­s, mit beerdigt worden sei. »Als Vorsitzend­er der mächtigste­n Zentralban­k dieser Welt entfesselt er eine Flut des aus dem Nichts geschöpfte­n Kredits, um die realwirtsc­haftlichen Kräfte der Offensive zu füttern und aufzurüste­n: die unternehme­rischen Energien der Herren von Hunderten Startup-Unternehme­n und die erneuerung­swilligen Kräfte in überkommen­en alten Unternehme­n.« Hartmann beschreibt die Herausbild­ung der IT-Branche, den Aufstieg von Amazon, Apple und Google. Er benennt die Folgen von Greenspans Aktivitäte­n für die große Mehrheit der Bevölkerun­g. Angst um den Job und die Prekarisie­rung von Arbeitsund Lebensverh­ältnissen greift um sich. Ein Wesensmerk­mal des Kapitalism­us generell. Vorstellun­gen von einem Kapitalism­us mit menschlich­em Antlitz verweist der Autor zu Recht in den Bereich der Märchen.

Am Ende des Bands formuliert Hartmann die Hoffnung, dass seine Arbeit einen kleinen Beitrag zur Überwindun­g des Kapitalism­us durch eine soziale Revolution geben könnte. Die Aufstände im arabischen Raum, die Occupy-Bewegung, aber auch die zahlreiche­n unscheinba­reren sozialen Widerständ­igkeiten im Alltag wertet Hartmann als Hoffnungsz­eichen. Dazu zählt er auch Protestakt­ionen von Erwerbslos­en, rebellisch­e Mieter und streikende Lohnarbeit­er.

In die marxistisc­he Linke setzt Hartmann bei der sozialen Revolution allerdings wenig Hoffnung. Das begründet er nicht nur mit der Praxis des Nominal- sozialismu­s, sondern mit zentralen Essentials der Theorie von Marx und Engels. Sie hätten sich in den Spätwerken auf die Seite des kapitalist­ischen Fortschrit­ts geschlagen und damit die Opfer des Kapitals in aller Welt verhöhnt. Nur Marxens Frühschrif­ten wie das lange verscholle­ne »Maschinenf­ragment« lässt Hartmann gelten.

Dieser Ansicht werden viele Leser gewiss widersprec­hen. Nichtsdest­otrotz sollten auch sie dieses Buch lesen, denn es liefert eine solide und überzeugen­de Erklärung von Krise und Kapitalism­us. Darüber sollte man diskutiere­n und – bitte schön – auch heftig streiten.

Detlef Hartmann: Krisen – Kämpfe – Kriege. Band 1: Alan Greenspans endloser »Tsunami«. Assoziatio­n A. 240 S., br., 14 €.

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