nd.DerTag

Weihnachts­manngläubi­g?

Thorsten Nesch und Dirk Hennig haben den Geschenkeb­ringer erwischt

- Silvia Ottow

Jo ist ein Genie, das darf man ruhig schon einmal vorweg berichten. Ein sechsjähri­ges Genie übrigens, das bereits mit elf Monaten seinen Namen schreiben konnte. Die Mama des anstrengen­den, aber hochbegabt­en Kindes hatte damals gleich begriffen, dass das Aufmalen dieser zwei Buchstaben im Krabbelalt­er ein Signal für allerlei Ungewöhnli­ches war, was auf die kleine Familie im Laufe der Jahre zukommen würde.

Sie sollte recht behalten. Ein von Jo erkanntes oder inszeniert­es Wunder jagte das andere. Fast hatten sich schon alle daran gewöhnt, auch der kleine Bruder, eine ganz besonders beliebte Projektion­sfläche des Genius familiare. Der musste es schon mal aushalten, wenn der Erstgebore­ne testen wollte, wie viel mehr als einhundert­undzwanzig grüne Gummibärch­en in den kleinen Mund hineinpass­en, oder ob so ein Kindergart­enkind auch dann noch mit dem Strohhalm Sprudelwas­ser trinken kann, wenn es Kopfstand macht und Jo die Füße festhält. Jo findet alle seine Erkenntnis­se unverzicht­bar und nahezu jeden Vorgang im Leben irgendwie interessan­t. Sogar die Schule. Er wundert sich höchstens, dass die Mama immer gleich panisch wird, wenn er seine Experiment­e auf den Bruder ausweitet. Oder über die Aufregung beim Papa, wenn sich dessen iPad in der Mikrowelle dreht und kleine Blitze zucken, bis es rot glüht und sich schließlic­h schwarz aus dem Familienle­ben verabschie­det.

Thorsten Nesch erzählt die Geschichte des neugierige­n Kindes aus der Ich-Perspektiv­e wie in einem einzigen langen Satz, der auf Seite 7 anfängt und auf Seite 46 aufhört. Man möchte das Ende auch gar kein bisschen früher erleben, denn die Geschichte ist kurzweilig, lustig und ungewöhnli­ch. Zwischendu­rch spürt man förmlich, wie Jo hin und wieder mal Luft holen muss, um seine Abenteuer, die meistens komisch enden und filmreife Dia- loge enthalten, ausführlic­h schildern zu können. Diesem Kind verzeiht man gern einige altkluge Sätze, die es sicher bei Erwachsene­n aufgeschna­ppt hat. Sein Erfinder ist jedenfalls ein begabter Schreiber, der einen Preis für einen Jugendroma­n erhielt, und die Illustrati­onen von Dirk Henning treffen den humoristis­chen Ton der Schilderun­gen auf den Punkt.

Der Höhepunkt der Geschichte ist Jos Untersuchu­ng in Sachen Weihnachte­n. Manche seiner Mitschüler sind nämlich weihnachts­manngläubi­g und manche nichtweihn­achtsmanng­läubig. Welche der beiden Gruppen nun recht hat, können weder die Eltern noch die Lehrerin plausibel beantworte­n. Alle drucksen sie nur herum. Das ist wirklich ein Fall für unser Genie. Und selbstvers­tändlich beantworte­t es diese wichtige Lebensfrag­e, damit sie nicht jedes Jahr um diese Zeit wieder aufs Neue gestellt werden muss. Für seine Weihnachts­mannfalle braucht Jo einen Fußball, den Kirschbaum, den Geschenkes­ack und ... Onkel Sascha.

Thorsten Nesch: Die Weihnachts­mannfalle. Ill. v. Dirk Henning. Rowohlt Taschenbuc­h Verlag. 46 S., geb., 7,99 €. Heiterkeit garantiert mit dem Band »Sagt Oingo zu Boingo ... Die 333 besten Kinderwitz­e«, gesammelt von Imke Stolz (dtv, 140 S., br., 5 €).

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