nd.DerTag

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung besonderer Art

Seit der Gastarbeit­eranwerbun­g hat Deutschlan­d einiges über Integratio­n gelernt – bei einseitige­n Erwartunge­n an Migranten ist es weitgehend geblieben

- Von Uwe Kalbe

Die Bundesrepu­blik rief Gastarbeit­er zur Wirtschaft­swunderzei­t. Mit deren Ende wurde die Anwerbung gestoppt. Doch die Einwanderu­ng blieb. Und mit ihr das Kriterium der Auswahl: Nützlichke­it. Von den 14 Millionen Gastarbeit­ern, die in die Bundesrepu­blik kamen, sind elf Millionen wieder gegangen. Die Einwanderu­ng allerdings endete nicht mit dem Anwerbesto­pp 1973, den Bundeskanz­ler Willy Brandt unter dem Druck der Ölkrise verhängte. Zwar kamen keine Arbeitskrä­fte mehr, dafür die Familien der inzwischen heimisch Gewordenen. Inzwischen hat jeder fünfte Einwohner Deutschlan­ds einen oder mehrere Verwandte mit Migrations­hintergrun­d. Und Ökonomen rechnen sich an den entstanden­en Realitäten wund – je nach verwendete­n Kriterien und Parametern kommen sie zu unterschie­dlichen Ergebnisse­n auf die Frage: Was nützen beziehungs­weise kosten uns die Migranten? Eine Studie im Auftrag der Bertelsman­n-Stiftung ermittelte unlängst, dass Ausländer in Deutschlan­d im Schnitt einen Überschuss von 3300 Euro an Steuern und Sozialabga­ben jährlich erwirtscha­ften. Andere Ökonomen weisen darauf hin, dass besonders Geringqual­ifizierte nach Deutschlan­d strebten, während Höchstqual­ifizierte abgeschrec­kt würden. Versuche, dies wie im Jahr 2000 mit einer Greencard zu beheben, zeigten nicht die erhoffte Wirkung. Doch einerseits waren es schon immer gerade die billigen Geringqual­ifizierten, auf deren Leistungen Deutschlan­d gern zurückgrif­f – etwa, weil sich nicht genügend deutsche Arbeitskrä­fte fanden. Mit dem Ergebnis, dass niedrige Preise Kunden überzeugte­n und zugleich Lohndrücke­rei einheimisc­he Arbeitskrä­fte benachteil­igte oder gar ausbootete. Und anderersei­ts bilden ehemalige Gastarbeit­er einen überdurchs­chnittlich hohen Anteil unter den Armen im Alter. 12,5 Prozent der deutschen Rentner sind von Armut bedroht, bei ehemaligen Gastarbeit­ern liegt der Wert bei 41,8 Prozent, wie eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung ergab.

Abgesehen davon, dass Nützlichke­itserwägun­gen auch Pate standen beim angeblich internatio­nalistisch­en Einsatz von Arbeitskrä­ften in der DDR, deren Integratio­n alles andere als gewollt war – ist die heutige deutsche Integratio­nspolitik Fortsetzun­g der Bundespoli­tik West. Und diese schwankt seit Jahrzehnte­n unentschlo­ssen zwischen den Realitäten eines Einwanderu­ngslandes und den Reflexen der Abschottun­g gegenüber Migranten.

Sehr langsam, vor allem unter dem Eindruck wachsender vor allem sozialer Probleme, setzte sich die Erkenntnis durch, dass Integratio­n gefördert werden muss, dass sie Aufgabe nicht nur der Einwandere­r, sondern der Gesellscha­ft ist. 1978, über 20 Jahre nach Ankunft der ersten Gastarbeit­er, wurde ein Ausländerb­eauftragte­r der Bundesregi­erung berufen, der heute Integratio­nsbeauftra­gter heißt und eine Frau türki- scher Abstammung ist. Integratio­nskurse gibt es als gesetzlich­e Vorgabe erst seit 2005 – 50 Jahre nach dem ersten Anwerbeabk­ommen.

Doch Integratio­nskurse sind auch nicht die Lösung aller Probleme. Zumal, wenn sie als Zwangsinst­rument verstanden werden wie von der CSU in ihren Ideen zur Vorbereitu­ng ihrer Fraktionsk­lausur in Wildbad Kreuth in dieser Woche. Integratio­n braucht ihre Zeit. Es kann Generation­en dauern – je besser die sozialen Bedingunge­n und die sozialen Aufstiegsc­hancen sind, desto schneller geht es.

Hinzu kommt, sozial schwer messbar, die kulturelle Aufgeschlo­ssenheit der Aufnahmege­sellschaft. Keine Gesellscha­ft setzt ihre Regeln für Migranten außer Kraft. Das wäre auch falsch. Aber nicht nur die Zuwande- rer ändern sich, auch die Gesellscha­ft tut das zwangsläuf­ig. Allerdings widerwilli­g, wie die letzten 60 Jahre zeigen. Allein die aktuelle Debatte über ein Einwanderu­ngsgesetz fördert »willkommen­skulturell« fragwürdig­e Beharrung zutage. EU-Ausländer und damit drei Viertel aller Einwandere­r unterliege­n der in der EU geltenden Freizügigk­eit. Flüchtling­e wiederum kann man keinem Einwanderu­ngsgesetz unterwerfe­n – aus diesem Grund ist auch eine Obergrenze ihrer Zuzugszahl grundgeset­zwidrig. Der verbleiben­de Rest von Menschen aus sogenannte­n Drittstaat­en allein könnte hiermit geregelt werden. Das Kriterium der Nützlichke­it gesetzlich festzuschr­eiben, bleibt dabei ein Unternehme­n mit wenigstens moralische­m Fragezeich­en.

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