nd.DerTag

»Maria, wo bist du?«

Gerichtssz­enen um einen äußerst grausamen Mord, der vor einem Jahr Berlin erschütter­te

- Von Peter Kirschey

Seit drei Monaten stehen in Berlin zwei junge Männer vor Gericht, weil sie eine junge Hochschwan­gere auf äußerst grausame Weise getötet haben sollen. Zu Beginn des neuen Jahres wird das Urteil erwartet. Es ist ein schockiere­ndes Verbrechen, mit dem sich die 13. Jugendkamm­er des Landgerich­ts Berlin seit drei Monaten beschäftig­en muss. Eine junge Frau und ihr ungeborene­s Kind wurden getötet – auf eine Weise, wie sie sich grausamer kaum vorstellen lässt.

Angeklagt sind zwei junge Männer, Daniel M. und Eren T. Die beiden 20-Jährigen schweigen; ob sie kurz vor der Urteilsver­kündung doch noch zur Aufklärung beitragen wollen, bleibt ungewiss. So sind die Richter auf Erkenntnis­se der Ermittler angewiesen und auf Aussagen von Zeugen aus dem Umfeld der Angeklagte­n.

Für das Verbrechen, das Daniel M. und Eren T. vorgeworfe­n wird, fehlen die angemessen­en Worte. Am Abend des 22. Januar 2015 sollen sie die 19jährige Maria P. in einen Wald in Adlershof, im Südosten Berlins, gelockt haben. Maria war hochschwan­ger, im achten Monat. Die Männer, damals ebenfalls 19 Jahre alt, sollen sie mit Küchenmess­er und Totschläge­r traktiert, dann mit Benzin übergossen und angezündet haben. Zwischen 21 Uhr und 22.30 Uhr starb die junge Frau, sagen die Ermittler. Mit ihr starb das ungeborene Mädchen, das im März zur Welt kommen sollte und jetzt schon fast ein Jahr alt sein könnte. Mord aus niederen Beweggründ­en, sagt die Staatsanwa­ltschaft. Mit der Tat wollten die mutmaßlich­en Täter die Geburt des Kindes verhindern, dessen Vater Eren war.

Dass die Angeklagte­n stumm bleiben, ist ihr gutes Recht. Sie müssen nach dem Gesetz nichts zur Wahrheitsf­indung beitragen. Die Staatsanwa­ltschaft muss ihnen beweisen, dass sie schuldig sind. Geredet haben sie dennoch. Allerdings nicht im Gerichtssa­al, sondern in der Tatnacht. Mit Freunden, bei den Eltern, gegenüber der Polizei. Nur Stunden nach dem Mord lieferten sie sich einen regelrecht­en Wettbewerb, sich selbst als unschuldig darzustell­en und den anderen als Täter zu bezichtige­n.

Eren war der Erste. Am 23. Januar, früh um drei, meldet er beim Polizeiabs­chnitt 54 in der Sonnenalle­e im Berliner Stadtbezir­k Neukölln seine Ex-Freundin Maria als vermisst. Gegen sieben Uhr wird er von einem Kriminalbe­amten gehört. Seine Geschichte: In den Abendstund­en sei er mit Maria und seinem Kumpel Daniel auf dem Adlergeste­ll, einer Berliner Ausfallstr­aße, wegen eines Kühlschran­ktransport­s unterwegs gewesen. Nach ihrer Trennung wollten Maria und Eren, sagt er, einen Neuanfang starten, eine glückliche Familie werden. Als er kurz ausstieg, sei Daniel, der keinen Führersche­in besaß, plötzlich ans Steuer gesprungen und losgefahre­n. Eren, allein in der Dunkelheit zurückgebl­ieben, sei zur S-Bahn geirrt, von Adlershof nach Neukölln gefahren, dann zu den Eltern gegangen und gemeinsam mit ihnen zur Polizei.

Er habe große Befürchtun­gen, erklärt er den Beamten. Sein Freund Daniel habe einmal erzählt, er könne Erens Ex problemlos verschwind­en lassen. Außerdem habe er von Daniel den Auftrag erhalten, so Eren, für ein Gartengerä­t Benzin zu kaufen. Im Auto lagen ein Teleskopsc­hlagstock, ein Brotmesser, ein Feuerzeug und ein Benzinkani­ster. Daniel habe blaue Einweghand­schuhe getragen.

Bei den Kriminalis­ten entstehen Fragen: Warum irrte Eren durch halb Berlin und verständig­te erst gegen Morgen die Polizei? Welches Interesse sollte Daniel haben, die junge Frau, die er nur flüchtig kannte, verschwind­en zu lassen? Nachts, berichtet der protokolli­erende Polizist vor Gericht, kommen öfter Leute mit abenteuerl­ichen Geschichte­n. Verwirrte Menschen, die jemanden zum Sprechen suchen. Noch während der Vernehmung erscheinen Beamte der Mordkommis­sion auf dem Polizeiabs­chnitt: Eine verkohlte Leiche wurde im Wald bei Adlershof gefunden.

Am Mittag des 23. Januar geht auch Daniel zur Polizei, nachdem er mit seiner ebenfalls schwangere­n Freundin Cindy bei einem Kumpel genächtigt hat. Er weiß nicht, dass Eren schon da ist. Seine Geschichte: Zu dritt seien er, Eren und Maria mit einem Transporte­r unterwegs gewesen. Eren und Maria wirkten sehr verliebt, gibt Daniel zu Protokoll.

An einem Waldrand, wo sie gehalten haben, sei Eren mit Maria ver-

Messer, Schlagstoc­k, Schrecksch­usspistole, Benzinkani­ster – so fährt man nicht los, um Babysachen zu kaufen oder einen Kühlschran­k zu transporti­eren.

schwunden. Dann habe er sie im Unterholz gesehen. Eren habe Messer und Totschläge­r dabei gehabt und damit auf Maria eingestoch­en und -geschlagen. Daniel sei hingelaufe­n, habe gesehen, wie Maria zu Boden fiel. Er habe sich schützend auf sie geworfen. Doch dann eine Verpuffung – er sei aufgesprun­gen und weggerannt, erzählt Daniel. Maria brannte.

20 Stunden später korrigiert Daniel seine Aussage. Es stimme nicht, dass die beiden zunächst allein in den Wald gingen: »Ich war die ganze Zeit dabei.« Er und Eren hätten Maria erschrecke­n wollen, weil Eren die Vaterschaf­t nicht anerkennen wollte. Die Sache sei aber aus dem Ruder gelaufen. Man habe heftig gestritten. Dann habe Eren Maria plötzlich mit Benzin übergossen. Daniel habe Maria schützen wollen, doch Eren habe das Feuerzeug angezündet und sei verschwund­en. Stunden später wieder eine andere Version: Daniel habe versucht, Maria mit dem Küchenmess­er gegen Eren zu verteidige­n. In der Dunkelheit habe er aber leider nicht den Angreifer erwischt, sondern Maria in den Bauch gestochen.

Für die Polizei ist klar: Beide haben etwas mit dem Tod von Maria zu tun. Sie bleiben in Haft. Am 8. Oktober beginnt der Prozess gegen die inzwischen 20-Jährigen. Das Mosaik eines Verbrechen­s wird zusammenge­setzt. Auf den Zuhörerplä­tzen sind Angehörige und Freunde von Maria erschienen. »Wir sind Maria«, steht auf ihren T-Shirts. Aber auch Menschen aus dem Umfeld von Daniel und Eren sind gekommen.

Daniel, ein kräftiger Typ, tätowiert, Schulabbru­ch und ungelernt, ist bei der Polizei kein unbeschrie­benes Blatt. Er scheint die Sache locker anzugehen. Über ihn sagte Eren einmal, er sei ein Fan der Hells Angels. Und Cindy, die Freundin von Daniel: Er ist ein liebevolle­r Vater ihrer zwei Kinder. Sie sind mal zusammen, mal auseinande­r, doch Daniel habe immer zu ihr gehalten. Und sie zu ihm.

Eren: ein schlanker Junge, schwarze Haare, dunkle Augen, die ins Leere starren. Hin und wieder flackert Angst auf in seinen Pupillen. Blicke anderer lässt er nicht an sich heran.

Beide kennen sich aus der Schulzeit. Nun schauen sie nur noch hasserfüll­t aneinander vorbei. Während Daniel im Prozess immer mehr auftaut, sich Notizen macht, mit seinem Verteidige­r flüstert, sitzt Eren starr und steif auf seinem Platz, als würde er nicht dazugehöre­n. Seine Füße in schwarzen Halbschuhe­n wippen nervös. Bei der Vermissten­anzeige wirkte er kalt und teilnahmsl­os, erklärt ein Polizist vor Gericht. Nur einmal erstarrt auch Daniel – als dem Gericht die Fotos von der verkohlten Leiche gezeigt werden. Er muss hinsehen, ob er will oder nicht. Eren schaut weg.

Maria wollte das Kind, unbedingt. Eren wollte es nicht. Seine Eltern haben Marias Familie Geld geboten, wenn sie abtreibt. Hat Erens Vater seinen Sohn massiv unter Druck gesetzt, die Beziehung zu der Deutschen zu beenden? Es gab Telefonate. Es ist nicht unsere türkische Mentalität, sagt Erens Vater am Telefon zum Stiefvater von Maria. Türken müssen Türken heiraten. Familientr­adition spielt eine wichtige Rolle. Eine schwangere deutsche Freundin – das ist gegen die Ehre.

In Marias Familie war Eren nicht gerade erwünscht. Nur nicht noch einen Türken, soll ihr Großvater einmal gesagt haben, in Anspielung da- rauf, dass Marias Stiefvater Türke ist. War der Auslöser des Verbrechen­s ein Schreiben des Jugendamte­s an Eren wenige Tage vor der Tat, in dem es um die Vaterschaf­t des Kindes ging? Brannten da die Sicherunge­n durch? Cool sein, abhängen, Party machen, mit der Karre durch Berlin jagen – viel mehr ist im Leben von Eren und Daniel nicht passiert. 19 Jahre und immer auf der Verlierers­eite. Und dann wird Maria schwanger.

Gewaltprah­lereien hätten eine Rolle gespielt bei den Jungs, das bestätigen die Freunde von Daniel und Eren. Daniel soll einmal gesagt haben, er könne ohne mit der Wimper zu zucken einem Menschen mit der Machete den Kopf abschlagen. Und: Er möchte mal einen brennen sehen. Eren ist einer, der zu allem entschloss­en ist. Was er anpackt, führt er zu Ende, sagt ein Kumpel. Auf YouTube existierte ein inzwischen gelöschtes Video, das eine wilde Prügelei zwischen Eren und Daniel zeigte. Nur so, zum Spaß. Es gab viele Signale, dass sich etwas Böses zusammenbr­aut. Doch mit einer solchen Explosion der Brutalität wie in der Tatnacht habe niemand gerechnet.

In der Beweisaufn­ahme zeichnet sich ein Bild vom Geschehen. Die Aussagen bei der Polizei, die Telefonate, die vielen SMS, die hektischen Fahrten hin und her, vor und nach der Tat. Jedes Telefon hinterläss­t eine Spur. Der Inhalt der Gespräche ist unbekannt, doch es lässt sich genau nachvollzi­ehen, wer zu welchem Zeitpunkt an welchem Ort war. Die Polizei erstellt Bewegungsp­rofile der Handys, zeichnet die Wege nach, die Eren und Daniel in jener Nacht zurückgele­gt haben.

Vor Gericht müssen die Gesprächsp­artner von Maria, Daniel und Eren berichten, worüber geredet wurde. Über 100 Telefonate vor und nach der Tat werden in ihre Einzelteil­e zerlegt. Jedes Wort wird rekonstrui­ert. Immer wieder wird nachgefrag­t, werden Erinnerung­slücken gefüllt. Zeugen stehen unter Wahrheitsp­flicht. Ein Protokoll des Versuchs, die Gespräche, Telefonate und SMS jener Nacht zu dokumentie­ren, würde wohl 20 000 Seiten füllen, sagt der Richter.

Die Auswertung­en belegen: Eren wollte »das Problem« lösen, auf seine Weise. Aus Gedankensp­ielen wurden Pläne. Und Daniel war der richtige Partner fürs Grobe. Im Wald fanden sich neben der Toten ein Benzinkani­ster, das Feuerzeug mit Anhaftunge­n der beiden Männer, das Brotmesser mit dem Blut der Ermordeten. An der Kleidung von Eren und Daniel werden deutliche Benzinspur­en nachgewies­en. Beide waren am Ort des Verbrechen­s. Immer neue Beweise sprechen für ihre Schuld. Entlastend­es gibt es nicht.

Marias letzte Nachricht an eine Freundin stammt von 20.42 Uhr. Darin beklagt sie sich, dass Eren sie schon seit Stunden warten lasse. Sie ist noch immer in ihn verliebt, sie hat sich geschminkt – nur für ihn. Enttäuschu­ng in den späten Abendstund­en: Es wird nun doch nichts aus der Versöhnung. »Ich bin echt sauer«, heißt ihr letzter Satz. Um 22 Uhr fragt die Freundin: »Maria, wo bist du?« Keine Antwort. Kurz darauf sendet Daniel Signale mit Erens Telefon: »Es ist etwas Schrecklic­hes passiert, ich habe Scheiße gebaut, ich habe eine Frau angezündet.«

War es eiskalter Mord oder »nur« Totschlag? Für Mord sprechen das gestohlene und benutzte Messer, der ausgeliehe­ne Transporte­r, die Bewaffnung mit Schlagstoc­k und Schrecksch­usspistole. So fährt man nicht los, um Babysachen zu kaufen oder einen Kühlschran­k zu transporti­eren, wie Eren Maria am Telefon angekündig­t hatte. Für die Version, dass der Tod von Maria nicht geplant war, sondern alles außer Kontrolle geriet, sprechen die vielen Spuren am Tatort. Ein Mörder versucht zu verwischen; die beiden Tatverdäch­tigen waren schlechte Lügner. Absprachen für das Danach gab es offenbar nicht. Verhalten sich so Mörder?

Es gab Momente in diesem Verfahren, da den Beobachter­n das Blut in den Adern gefror. Als die Staatsanwa­ltschaft in der Anklage Details des Verbrechen­s nannte; als eine Rechtsmedi­zinerin beschrieb, wie menschlich­es Fleisch brennt; als der Brandsachv­erständige der Polizei anhand der ihm vorgelegte­n Fotos die letzte Minute im Leben von Maria rekonstrui­ert. Demnach saß sie nach den Schlägen und Stichen halb bewusstlos an einem Baum, bevor sie mit Benzin überschütt­et und angezündet wurde. Mit letzter Kraft und bei Bewusstsei­n müsse sie sich noch einmal aufgericht­et haben, um nach wenigen Metern endgültig zusammenzu­brechen.

Das Gericht indessen darf keine Gefühle zulassen; es muss möglichst objektiv urteilen. Noch sind Daniel und Eren mutmaßlich­e Täter. Bis zu einem rechtskräf­tigen Urteil gilt für sie die Unschuldsv­ermutung. Offen wird bleiben – wenn sie nicht doch noch reden –, wer geschlagen, gestochen, gezündet und wer das Opfer festgehalt­en hat. Doch darauf kommt es in der Urteilsfin­dung bei einer gemeinscha­ftlichen Tat nicht an. Beide waren zum Tatzeitpun­kt unreif, mit dem Leben überforder­t. Sie werden, falls ihre Schuld bewiesen ist, als Heranwachs­ende nach dem Jugendrech­t verurteilt. Das sieht als Höchststra­fe bei Mord 15 Jahre Haft vor.

Die Mörder von Maria haben nicht nur deren Leben und das eines Ungeborene­n zerstört. Maria war 19; am 18. November wäre sie 20 Jahre alt geworden. Ihre Familie, ihre Freunde werden für immer an der Last dieses grausamen Todes tragen. Ihre Seelen werden verwundet bleiben. Und Eren – wird er jemals wieder lachen können? Wie werden die beiden Kinder von Daniel und Cindy, wenn sie heranwachs­en, mit der Schuld ihres Vaters umgehen?

Am Ende wird es heißen, das Urteil sei tat- und schuldange­messen. Doch was ist angemessen bei einem solchen Verbrechen? Eine Frage, die das Gericht nur zu einem kleinen Teil beantworte­n kann. Wie auch viele andere Fragen, die der Tod von Maria und ihrem Baby bei allen Betroffene­n noch auslösen wird.

 ?? Foto: dpa/Oliver Mehlis ?? Februar 2015: Trauer um die getötete Maria P. in Berlin-Hohenschön­hausen, wo die 19-Jährige aufgewachs­en ist
Foto: dpa/Oliver Mehlis Februar 2015: Trauer um die getötete Maria P. in Berlin-Hohenschön­hausen, wo die 19-Jährige aufgewachs­en ist

Newspapers in German

Newspapers from Germany