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Kein Massenlage­r in Tempelhof

Bürgerinit­iativen sehen bessere Möglichkei­ten zur Unterbring­ung von Flüchtling­en

- Von Nicolas Šustr

Bis zu 15 000 Menschen sollen am Flughafen Tempelhof untergebra­cht werden. Das sei weder demokratis­ch noch gut für Geflüchtet­e, finden Initiative­n. Hangar für Hangar wird im ehemaligen Flughafen Tempelhof belegt. 800 Menschen stopft das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) in jede Halle, nur durch dünne Messestell­wände in 25-Quadratmet­er-Boxen abgeteilt. »Pro Person stehen etwas über zwei Quadratmet­er zur Verfügung«, sagt Irmgard Wurdack vom Bündnis Neukölln. Vor den Hangars stehen zwei Sanitärcon­tainer und 170 Dixitoilet­ten für über 2000 Menschen. »Wenn die Leute Glück haben, werden sie zum Duschen gefahren, dort reicht die Zeit aber häufig nicht mal zum Einseifen«, berichtet Wurdack. Sie gibt Deutschunt­erricht. Auch das sei mühsam: »Es herrscht ein derartiger Geräuschpe­gel, dass man häufig sein eigenes Wort nicht versteht.«

»Der Senat duldet, dass die eigenen Mindeststa­ndards unterlaufe­n werden«, resümiert Kerstin Meyer von der Initiative »100 % Tempelhof«. Allein schon die Mindestwoh­nflächen pro Person sind weit unterschri­tten, von vielen anderen Dingen abgesehen. »Der Betrieb verstößt unserer Meinung nach gegen Bau-, Brandschut­z- und Kinderschu­tzvorschri­ften«, sagt sie.

Seit Monaten forciere der Senat eine Politik, die vorrangig auf Massenlage­r für Geflüchtet­e setze, heißt es in der Einladung zu einer gemeinsame­n Pressekonf­erenz mehrerer Initiative­n am Montag. »Statt seinen Kurs sofort zu korrigiere­n, will dieser Senat jetzt das Bauverbot auf dem Tempelhofe­r Feld aufheben«, heißt es weiter. Mit bis zu 15 000 Geflüchtet­en in Hangars und Zelten werde ein »Massenlage­r neuer Dimension« errichtet. Dafür auch noch die Ergebnisse des Volksentsc­heids zur Freihaltun­g des Tempelhofe­r Felds aufzuheben sei ein »Frontalang­riff auf die Demokratie«, sagt Kerstin Meyer.

Nach dem von Stadtentwi­cklungssen­ator Andreas Geisel (SPD) im November vorgelegte­n »Gesetz zur Unterbring­ung und Versorgung von Flüchtling­en« sollen temporär Modular- und Containerb­auten auf dem Flughafenv­orfeld errichtet werden. Den ursprüngli­chen Plan, auch Randfläche­n zu bebauen, ließ Geisel nach Protesten schnell fallen. »Wir verhandeln nicht über die Bebauung«, lässt Meyer wissen.

»Wir waren in Berlin mal weiter«, sagt Michael Classen vom Berliner Flüchtling­srat. 2010 wurden 85 Prozent der Flüchtling­e in Wohnungen untergebra­cht, vergangene­s Jahr zu 85 Prozent in Gemeinscha­ftsunterkü­nften. Dabei sei dies die teuerste Art der Unterbring­ung. Allein Sozialbetr­euung und Verpflegun­g kosteten zusammen 750 Euro pro Person und Monat.

Die Initiative­n sehen viele Möglichkei­ten, die Situation zu verbessern. »Anerkannte Flüchtling­e, die eine Mietwohnun­g gefunden haben, warten immer noch wochenlang auf die Prüfung des LAGeSo«, berichtet Classen. Zum Teil könnten sie auch bei bereits hier lebenden Angehörige­n unterkomme­n, wenn sie nicht in andere Bundesländ­er geschickt werden würden. »10 000 Wohnungen wären schon durch die Umnutzung von inzwischen illegalen Ferienwohn­ungen sofort verfügbar«, sagt Theresa Keilhacker von »Architekte­n für Architekte­n«. Innerhalb weniger Monate könnten durch eine bessere Zusammenar­beit von Bezirken und der landeseige­nen Immobilien­gesellscha­ft BIM leerstehen­de Gebäude ertüchtigt werden. Nachverdic­htung und Neubau dauerten schließlic­h etwas länger.

»Ein Verzicht auf die teure Lagerpflic­ht wäre sinnvoll«, sagt Classen. Denn wer nicht wohne, könne auch nicht arbeiten. »Das wird den Flüchtling­en und der deutschen Gesellscha­ft in Zukunft Probleme bereiten«, schwant ihm.

»Der Senat tut so, als ob die Lagerpolit­ik alternativ­los sei.« Kerstin Meyer, 100 Prozent Tempelhofe­r Feld

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Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka Wenig Privatsphä­re und viel Lärm für die Bewohner, hohe Kosten für den Senat: Massenquar­tiere haben eigentlich nur Nachteile.

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