Kein Massenlager in Tempelhof
Bürgerinitiativen sehen bessere Möglichkeiten zur Unterbringung von Flüchtlingen
Bis zu 15 000 Menschen sollen am Flughafen Tempelhof untergebracht werden. Das sei weder demokratisch noch gut für Geflüchtete, finden Initiativen. Hangar für Hangar wird im ehemaligen Flughafen Tempelhof belegt. 800 Menschen stopft das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) in jede Halle, nur durch dünne Messestellwände in 25-Quadratmeter-Boxen abgeteilt. »Pro Person stehen etwas über zwei Quadratmeter zur Verfügung«, sagt Irmgard Wurdack vom Bündnis Neukölln. Vor den Hangars stehen zwei Sanitärcontainer und 170 Dixitoiletten für über 2000 Menschen. »Wenn die Leute Glück haben, werden sie zum Duschen gefahren, dort reicht die Zeit aber häufig nicht mal zum Einseifen«, berichtet Wurdack. Sie gibt Deutschunterricht. Auch das sei mühsam: »Es herrscht ein derartiger Geräuschpegel, dass man häufig sein eigenes Wort nicht versteht.«
»Der Senat duldet, dass die eigenen Mindeststandards unterlaufen werden«, resümiert Kerstin Meyer von der Initiative »100 % Tempelhof«. Allein schon die Mindestwohnflächen pro Person sind weit unterschritten, von vielen anderen Dingen abgesehen. »Der Betrieb verstößt unserer Meinung nach gegen Bau-, Brandschutz- und Kinderschutzvorschriften«, sagt sie.
Seit Monaten forciere der Senat eine Politik, die vorrangig auf Massenlager für Geflüchtete setze, heißt es in der Einladung zu einer gemeinsamen Pressekonferenz mehrerer Initiativen am Montag. »Statt seinen Kurs sofort zu korrigieren, will dieser Senat jetzt das Bauverbot auf dem Tempelhofer Feld aufheben«, heißt es weiter. Mit bis zu 15 000 Geflüchteten in Hangars und Zelten werde ein »Massenlager neuer Dimension« errichtet. Dafür auch noch die Ergebnisse des Volksentscheids zur Freihaltung des Tempelhofer Felds aufzuheben sei ein »Frontalangriff auf die Demokratie«, sagt Kerstin Meyer.
Nach dem von Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) im November vorgelegten »Gesetz zur Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen« sollen temporär Modular- und Containerbauten auf dem Flughafenvorfeld errichtet werden. Den ursprünglichen Plan, auch Randflächen zu bebauen, ließ Geisel nach Protesten schnell fallen. »Wir verhandeln nicht über die Bebauung«, lässt Meyer wissen.
»Wir waren in Berlin mal weiter«, sagt Michael Classen vom Berliner Flüchtlingsrat. 2010 wurden 85 Prozent der Flüchtlinge in Wohnungen untergebracht, vergangenes Jahr zu 85 Prozent in Gemeinschaftsunterkünften. Dabei sei dies die teuerste Art der Unterbringung. Allein Sozialbetreuung und Verpflegung kosteten zusammen 750 Euro pro Person und Monat.
Die Initiativen sehen viele Möglichkeiten, die Situation zu verbessern. »Anerkannte Flüchtlinge, die eine Mietwohnung gefunden haben, warten immer noch wochenlang auf die Prüfung des LAGeSo«, berichtet Classen. Zum Teil könnten sie auch bei bereits hier lebenden Angehörigen unterkommen, wenn sie nicht in andere Bundesländer geschickt werden würden. »10 000 Wohnungen wären schon durch die Umnutzung von inzwischen illegalen Ferienwohnungen sofort verfügbar«, sagt Theresa Keilhacker von »Architekten für Architekten«. Innerhalb weniger Monate könnten durch eine bessere Zusammenarbeit von Bezirken und der landeseigenen Immobiliengesellschaft BIM leerstehende Gebäude ertüchtigt werden. Nachverdichtung und Neubau dauerten schließlich etwas länger.
»Ein Verzicht auf die teure Lagerpflicht wäre sinnvoll«, sagt Classen. Denn wer nicht wohne, könne auch nicht arbeiten. »Das wird den Flüchtlingen und der deutschen Gesellschaft in Zukunft Probleme bereiten«, schwant ihm.
»Der Senat tut so, als ob die Lagerpolitik alternativlos sei.« Kerstin Meyer, 100 Prozent Tempelhofer Feld