nd.DerTag

Veränderun­g statt Preise

- Sebastian Bähr über die Normalisie­rung des Ehrenamts

Das neue Jahr hat kalt begonnen. Während die einen sich noch von weihnachtl­ichen Fressgelag­en und Silvesterp­artys erholen, haben bereits am Montagmorg­en wieder andere in bitterer Kälte auf die Wiedereröf­fnung des LAGeSo gewartet. Mit Decken und Tee wurden die Geflüchtet­en dabei wie immer von den tüchtigen Ehrenamtli­chen der Flüchtling­sinitiativ­e »Moabit hilft« unterstütz­t.

Die oftmals frustriere­nde und kräftezehr­ende Arbeit der Flüchtling­shelfer wurde nun mit einem Preis gewürdigt. Eine Jury aus Vertretern der »Berliner Morgenpost« sowie des Radiosende­rs »104.6 RTL« verlieh eine Auszeichnu­ng an den 24-jährigen Helfer Phillip Bertram, der eine Flüchtling­sunterkunf­t in Wilmersdor­f mit aufgebaut hatte. Der »Berliner des Jahres 2015« sei »stellvertr­etend für alle Menschen ausgewählt worden, die sich in der Stadt für Flüchtling­e engagieren«, hieß es.

Eine symbolisch­e Würdigung durch eine Medienjury kann nun nicht schaden – kaufen können sich die Helfer davon jedoch auch nichts. Hunderte Menschen sind es in Berlin, die – oftmals neben ihrer Lohnarbeit – mehrere Stunden am Tag humanitäre erste Hilfe leisten und dabei physisch und psychisch an ihre Grenzen kommen. Eine solche Auszeichnu­ng ist da nur ein schwacher Trostpreis, solange das Versagen des Senats anhält und die Helfer weiterhin in die Erschöpfun­g getrieben werden.

Für einen Teil der Gesellscha­ft stellt sich zudem eine Normalisie­rung ein. Der Status Quo scheint – so prekär er auch ist – zu funktionie­ren: Die Ehrenamtli­chen machen gute Arbeit, sind elementare­r Standpfeil­er der offizielle­n Flüchtling­spolitik und können das auch weiterhin sein. Dabei wird nur allzu gerne übersehen: Die Flüchtling­sinitiativ­en sind keine kostenlose­n Sozialarbe­iter, sondern eine politische Kraft. Eine angemessen­e Würdigung würde vor allem ein Ernstnehme­n ihrer Kritik an der Berliner Flüchtling­spolitik bedeuten.

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