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Die Sehnsucht nach reinstem Ausdruck

Eine umfangreic­he Retrospekt­ive zeigt 490 Werke des in Chemnitz geborenen Künstlers Karl Schmidt-Rottluff

- Von Martina Jammers

Ein von jungen Bäumen gesäumter Weg führt diagonal durchs Bild. Hinter dieser Baumreihe sieht man Häuser in einer Talsenke liegen. Der um 1903 entstanden­e »Weg nach Rottluff« gilt als eines der ersten eigenständ­igen Ölbilder des Gymnasiast­en Karl Schmidt. Erst ab 1905 nannte er sich nach seinem Geburtsort SchmidtRot­tluff. Seit 1926 wurde Rottluff zu einem Ortsteil von Chemnitz. Die Generaldir­ektorin der Chemnitzer Kunstsamml­ungen Ingrid Mössinger lässt keinen Zweifel daran, dass der Maler »einer der bedeutends­ten Künstler weltweiter Anerkennun­g« ist.

Untrennbar ist Schmidt-Rottluff mit seiner Heimat verbunden: Zwei Elternhäus­er, die der Vater des hochbegabt­en Schmidt-Rottluff 1893/94 und 1914 erbauen ließ, stehen unter Denkmalsch­utz. Und jenes von Schmidt-Rottluff besuchte Chemnitzer Humanistis­che Gymnasium schmückt sich inzwischen mit seinem Namen. Zudem wurde eine S-förmige Straße mit Brücke in Schmidt-Rottluff-Brücke umgetauft. Karl SchmidtRot­tluff, 1884 geboren und 1976 verstorben, hielt sich zweimal jährlich in Chemnitz-Rottluff auf, um seine Familie zu besuchen, aber auch, um dort zu arbeiten. Nachdem sein Berliner Atelier 1943 ausgebrann­t war, was zum Verlust von Gemälden, Aquarellen und über 2000 Zeichnunge­n führte, lebte Schmidt-Rottluff zwei Jahre lang mit seiner Frau Emy Roeder im Haus der 1936 verstorben­en Mutter. Zu diesem Zeitpunkt war Roeder bereits eine erfolgreic­he Bildhaueri­n, die bei Bernhard Hoetger und Rudolf Belling studiert hatte.

»Karl Schmidt-Rottluff war zeitlebens im Austausch mit kreativen, selbststän­digen Frauen, die ihn unterstütz­ten und zur Verbreitun­g seines Werkes beitrugen«, resümiert Ingrid Mössinger. Allen voran ist dies Rosa Schapire (1874-1954), der das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe 2009 ein Buch mit Ausstellun­g gewidmet hat, die auch in den Kunstsamml­ungen Chemnitz zu sehen war. Schapire war eine der ersten an einer Universitä­t (Heidelberg) promoviert­en Frauen. Als Sammlerin, Förderin und Autorin setzte sie sich für Karl Schmidt-Rottluff ein.

Begonnen hat der Maler klassisch mit Naturstudi­en wie einer Weide oder »Feldern mit blühenden Bäumen« (1904). Dazu gesellen sich bald harmonisch­e Meeresland­schaften. Die an Nord- und Ostsee liegenden Landschaft­en prägten wesentlich das künstleris­che Schaffen des Malers. Schon bevor er zu Emil Nolde auf die Ostsee-Insel Alsen fuhr, erinnerte er bereits 1906 an »das Land meiner Sehnsucht, das Meer«. Und noch 1909, als er schon längst die Landschaft am Jadebusen für sich entdeckt hatte, reagierte er auf einen Urlaubsgru­ß des in Kampen auf Sylt weilenden Adolf Thiele, Arzt und Kunstsamml­er sowie Passivmitg­lied der Künstlergr­uppe »Brücke«, indem er sich auf seiner Antwortkar­te gern an seinen erst fünf Jahre zurücklieg­enden Aufenthalt auf der Insel erinnerte. Allerdings wurde Schmidt-Rottluff nie einer der bekannten Meeresmale­r, zu denen man etwa Max Pechstein zählte.

Nachdem der Chemnitzer 1905 ein Architektu­rstudium an der Techni- schen Hochschule in Dresden begonnen hat, macht er durch Vermittlun­g des mit ihm seit 1902 befreundet­en Erich Heckel Bekanntsch­aft mit Ernst Ludwig Kirchner und Fritz Bleyl. Am 7. Juni 1905 begründet er mit ihnen die Künstlergr­uppe »Die Brücke«. Nach einem Ausstellun­gsbesuch der Galerie Ernst Arnold in Dresden ist er stark von den Werken van Goghs beeindruck­t. Ab 1906 lässt er sich vom Architektu­rstudium befreien, um sich ganz seiner Künstlerla­ufbahn zu widmen. Endgültig gibt er sein Architektu­rstudium 1907 auf und wird zu einem der führenden Pioniere des Expression­ismus. Ab 1911 entstehen erste kunsthandw­erkliche Arbeiten sowie Schmuck. In diesem Jahr zieht er nach Berlin um, wo er Lyonel Fei- ninger und Simon Guttmann kennenlern­t. Zwei Jahre später löst sich die Künstlergr­uppe »Brücke« auf.

In der Zeitschrif­t »Kunst und Künstler« findet sich im XII. Jahrgang im März 1914 eine erste Äußerung Schmidt-Rottluffs über seine Kunst: »Von mir weiß ich, dass ich kein Programm habe, nur die unendliche Sehnsucht, das zu fassen, was ich sehe und fühle, und dafür den reinsten Ausdruck zu finden.« Im Ersten Weltkrieg war Schmidt-Rottluff in Litauen und Russland stationier­t. 1919 schließlic­h heiratet er seine langjährig­e Freundin Emy Frisch. Der Maler ist gut vernetzt, erweitert seinen Freundeskr­eis um Georg Kolbe, Richard Scheibe und den Architekte­n Walter Gropius.

»Eine exquisite Ergänzung der umfänglich­en Werkausste­llung zu Karl Schmidt-Rottluff bilden zahlreiche kunsthandw­erkliche Arbeiten des Künstlers aus Privatbesi­tz«, erläutert Ingrid Mössinger. Über 50 innerhalb eines Zeitraums von 1912 bis 1953 geschaffen­e Metallarbe­iten, Steinschni­tte, Holz- und Hornarbeit­en, Silber- und Goldschmie­destücke ermögliche­n einen in ihrer Vielfalt noch nie gesehene Werkschau und vergegenwä­rtigen den Rang des Künstlers. »Karl Schmidt-Rottluff:490 Werke in den Kunstsamml­ungen Chemnitz«, bis 10.4. Der Katalog, hrsg v. von Ingrid Mössinger, kostet 30, der Sonderkata­log über Kunsthandw­erk und Schmuck, hrsg. v. ders. und Katharina Metz, 16 Euro.

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Foto: Kunstsamml­ungen Chemnitz/László Tóth © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 Gang nach Emmaus, 1918, Holzschnit­t, Kunstsamml­ungen Chemnitz

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