Es gab eindeutige Worte für die Morde an den Juden
Zu »Fremdling«, 12./13.12., S. 10
In dem Beitrag steht, dass 1979 der Begriff »Holocaust« zum Wort des Jahres gekürt wurde – in der alten BRD, wie anzumerken ist. Und dann: »Das war insofern bemerkenswert, als bis dahin kein Wort im Deutschen existierte, das den von Deutschen begangenen industriell betriebenen Massenmord prägnant beschreiben konnte.«
Ich bin Jahrgang 1941, stamme aus der tiefsten Oberlausitz und bin mit zwei klaren, unmissverständlichen und geradezu brutal aussagekräftigen Worten groß geworden: Judenvernichtung und Judenausrottung. Beide Worte beschreiben den industriell betriebenen Massenmord mehr als deutlich. Jedem DDR-Bürger war bekannt, dass die jüdischen Deutschen und die Juden Europas massenweise exekutiert wurden, vergast, erschossen und anderweitig umgebracht. Das geschah in Babi Jar, in Auschwitz, Theresienstadt, im Warschauer Ghetto, am Donaukai in Budapest oder auf der Straße in Wien.
Und dann bürgerte sich mit einem Mal das Wort »Holocaust« ein, nach 1989/1990 flächendeckend in ganz Deutschland. Mir gefiel dieser Ausdruck von Anfang an nicht. Was sollte sich der einfache Deutsche unter diesem für ihn unverständlichen Fremdwort vorstellen? Der Verdacht keimte auf, dass mit diesem Begriff – ganz im Sinne westdeutscher Bewältigung deutsch-faschistischer Großverbrechen – eben diese Großverbrechen, Judenvernichtung und Judenausrottung, verschleiert, verdunkelt und unkenntlich gemacht werden sollten. Er bot sich an, um an die Stelle von Gewissheit etwas Diffus-Ungewisses treten zu lassen.
Übrigens: Marie Wassiltschikow, die vor der Rote Armee geflohene russische Prinzessin aus Litauen, gebrauchte am 27. Juni 1944 in ihren »Berliner Tagebüchern« den Begriff »Holocaust« als Synonym für die alliierten Bombenangriffe und die von ihnen ausgelösten Großfeuer. »Holocaust« führt sich auf das altgriechische Verb »holokautoo« zurück – ein Brandopfer bringen und dieses vollständig zu verbrennen.
Es gab in Ost- und Westdeutschland – mit Blick auf die Hitlerzeit – unterschiedliche Erinnerungskulturen und Formen der Rückschau. In der DDR war man nicht zimperlich im Benennen der nazistischen Verbrechen. Und das war keineswegs ein »verordneter Antifaschismus«.
Armin Jähne, Wehrsdorf/OL.