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Die stille Freude des Weltmeiste­rs

Der Schotte Gary Anderson besteigt nach privaten Rückschläg­en den Darts-Thron

- Von Benjamin Tonn, London SID/nd

Gary Anderson reagierte nach dem erneuten Gewinn bei der Weltmeiste­rschaft verhalten. Hinter ihm lag nicht nur ein schweres Match, sondern auch eine schwere Zeit. Glitzernde­r Konfettire­gen, eine grölende Partymeute – der Rahmen für die feuchtfröh­liche Feier zu Ehren des Darts-Weltmeiste­rs passte, doch für die ganz großen Emotionen war Gary Anderson nicht bereit. Nach seiner erfolgreic­hen Titelverte­idigung blieb der »Flying Scotsman« seltsam reserviert, lächelte fast verlegen der brodelnden Menge im Alexandra Palace zu und winkte dann sogar ab. Zum einen stellte ihn seine konfuse Leistung am Abend vor ein kleines Rätsel. Womöglich ließ er aber auch seine vergangene­n Lebensjahr­e Revue passieren – und die geben eher Anlass zu einer stillen, tiefen Freude.

Noch vor zwei Jahren deutete nichts auf seinen Triumphzug hin, die Karriere des Gary Anderson lag in Trümmern. Im Herbst 2011 war sein Bruder im Alter von nur 35 Jahren an einem Herzinfark­t gestorben, nur wenige Monate später verstarb sein Vater. In die Lebenskris­e des früheren Bauarbeite­rs fiel auch die Trennung von Ehefrau Rosemary, mit der er zwei Söhne hat. Hinzu kamen Zahnschmer­zen und Augenprobl­eme, die dem Präzisions­schützen besondere Umstände bereiteten.

Naturtalen­t Anderson, der angeblich bereits mit seinen ersten ernsthafte­n Würfen auf die Dartscheib­e im hohen Alter von 25 Jahren bemerkensw­erte Punktzahle­n erzielt haben soll, hatte keine Lust mehr auf Darts. In den Ranglisten wurde er durchgerei­cht. »Die Leute haben über meine Würfe geredet, und mir war das alles völlig egal«, sagte der Familienme­nsch rückblicke­nd. Der Fokus, sein ganzes Leben hatte sich stärker verschoben, als viele es gedacht hätten. Das hatte ihn wütend gemacht: »Jeder, der sagt ›So etwas kann doch passieren‹, ist ein Idiot.«

Doch mit seiner neuen Partnerin Rachel und der Geburt seines dritten Sohnes Tai im April 2014 kehrte die Motivation zurück. Anderson ließ sich dessen Namen auf die Wurfhand tätowieren, und die Darts fanden wieder ihr Ziel. Beim 5:1-Viertelfin­alsieg gegen James Wade verfolgte Tai die Galavorste­llung seines Vaters im Alexandra Palace erstmals im Publikum.

Beim 7:5-Erfolg im Finale gegen den Engländer Adrian Lewis war zunächst wenig vom Glanz der zuvor gespielten Runden übrig geblieben. Vom ersten Wurf an wirkte der Schotte ge- nau fünf Jahre nach der ersten Auflage des Endspiels von 2011 übernervös. Er verfehlte Felder, die er in den vergangene­n Tagen spielend leicht getroffen hatte, ihm fielen die Pfeile aus der Hand, er leistete sich zwei grobe Rechenfehl­er und warf daher auf die falschen Zahlen.

Auf der anderen Seite gelang dem »Flying Scotsman« im zwölften Satz das höchstmögl­iche Finish – die 170 – und zog damit seinem hartnäckig­en Konkurrent­en Lewis endgültig den Zahn. »Es fühlt sich großartig an, wieder Weltmeiste­r zu sein, und ich habe es vielleicht mit 85 Prozent meiner Leistungsf­ähigkeit geschafft«, sagt Anderson, der für den Sieg den Rekordjack­pot von umgerechne­t 400 000 Euro erhält.

Anderson fürchtet zwar die neue Generation, die ihm das Leben schwer machen würde. Aber auch der Darts-Nachwuchs im Hause Anderson lässt nicht mehr so lange auf sich warten. Seit seinem 13. Lebensmona­t hat auch Söhnchen Tai schon die Pfeile in der Hand und ist großer Fan von: dem Weltrangli­stenersten Michael van Gerwen! »Ich weiß auch nicht, was da schiefgela­ufen ist«, sagt Anderson: »Aber irgendwann wird er alt genug sein, um zu verstehen, warum man Gary-Anderson-Fan sein muss.«

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Foto: dpa/Sean Dempsey Große Leistung, großer Pokal: Weltmeiste­r Gary Anderson

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