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»Ein Rennen gegen die Zeit«

US-Umweltschü­tzerin Mary Anne Hitt über Erfolge im Kampf gegen Kohlekraft­werke

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Hat die »Beyond-Coal«-Kampagne des Sierra Clubs die Position der USA in den UN-Klimaverha­ndlungen in Paris gestärkt? Ohne die Kampagne wären wir nicht in dieser Position. Ich denke, Obama würde als Person immer noch beim Klimaschut­z anführen wollen. Aber er müsste sich viel stärker mit einem mächtigen Gegner auseinande­rsetzen, als er es heute muss: der Kohleindus­trie. Der Grund, warum Obama seinen Clean Power Plan und die Verhandlun­gen vorwärts getrieben hat, liegt darin, dass wir nicht mehr so stark von der Kohle abhängen. Die Kraft der Graswurzel­bewegung hat das möglich gemacht. 184 geplante Kohlekraft­werke wurden in den USA zurückgezo­gen, für 205 bestehende wurde ein Abschalten angekündig­t. Wie haben Sie dem nachgeholf­en? Für den Kraftwerks­bau sind Genehmigun­gen notwendig. Für die Landnutzun­g, die Luftreinhe­it, die Wasserrein­heit. Wir mussten eine von ihnen verhindern – entweder mit juristisch­en Mitteln oder mit politische­m Druck. Wir nutzen alle Werkzeuge der Demokratie – Gerichtsve­rfahren, Organisati­on, Lobbying. War der Einstieg von Michael Bloomberg, Ex-Bürgermeis­ter von New York, im Jahr 2011 der Wendepunkt für die Kampagne? Ja. Er gab uns die Ressourcen, die wir brauchten: 50 Millionen Dollar zunächst. Er hob uns auf ein nationales Level. Uns kannte davor kaum jemand, obwohl wir all die Kohlekraft­werke verhindert hatten! Bloomberg ist außerdem ein Geschäftsm­ann – und damit ein unüblicher Alliierter für die Umweltschü­tzer. Er war vom Start weg sehr direkt: Wir müssen die Koh-

Brackel.

Benjamin von le in den USA loswerden, weil wir im 21. Jahrhunder­t keine Energiever­sorgung mehr benötigen, die Menschen umbringt, sagte er. Mein erster Eindruck war: Was für ein Kämpfer, wie kühn, wie aggressiv! Der Sierra Club hat ein neues Ziel ausgegeben: die Kohleflott­e bis zum Jahr 2025 um die Hälfte zu reduzieren. Was macht Sie sicher, dass Sie das erreichen können? Wir haben die Strategie geändert, weil wir mehr Erfahrung haben. Es gibt ein Drittel weniger Kohlekraft­werke als vor ein paar Jahren. Zudem gelten die neuen Regeln der US-Umweltbehö­rde zu Quecksilbe­r, Kohleasche und Wasservers­chmutzung. Und der Clean Power Plan legt den CO2-Standard für Kraftwerke fest. Die Industrie muss also neue Anforderun­gen erfüllen. Die treten gerade in Kraft – und eröffnen neue Möglichkei­ten, die wir nutzen können. Außerdem sind in manchen Staaten Wind und Solar billiger als Kohle. Als wir anfingen, war das noch nicht der Fall. Wann wird das letzte Kohlekraft­werk in den USA vom Netz gehen? Unser Ziel ist ein kohlenstof­ffreies Netz 2030. Die Republikan­er im Senat versuchen immer wieder, den Clean Power Plan zu blockieren. Das zeigt, dass die Kohlelobby nach wie vor Macht hat. Der Clean Power Plan ist wichtig, aber er ist nicht der Königsweg und nicht unsere einzige Hoffnung. Das ist eine unserer Stärken in der Strategie. Obama hat sein Veto eingelegt. Selbst wenn ein Republikan­er nächster Präsident wird, wäre es schwer, diese Regelung auszuhebel­n. Die Energieunt­ernehmen machen bereits Geschäftse­ntscheidun­gen. Sie brauchen Sicherheit und richten sich nach internatio­nalen Klimaschut­zvorgaben aus – deshalb war Paris so wichtig. Wenn Kraftwerke in den USA schließen, ist das eine Sache. Die Kohle wird allerdings weiter gefördert und etwa nach Asien exportiert. Wird das Problem nur verlagert? Wir exportiere­n etwa zehn Prozent der Kohle. Bisher hat sich das nicht dramatisch verändert. Es ist nicht sehr wirtschaft­lich, die Kohle über die Weltmeere zu verschiffe­n. Die großen Vorkommen liegen im Westen der USA, die Kohle könnte nach Asien geliefert werden. Aber den Häfen fehlt es an Größe und Kapazität. Die Industrie will große Exportterm­inals an der Westküste errichten, sieben sind in Planung. Mit unserer Bewegung haben wir drei oder vier von ihnen gestoppt. Wir nutzen die gleichen Taktiken wie beim Stopp der Kraftwerke. Unsere Strategie ist es, die Nachfrage zu senken und die Exporte zumindest auf dem derzeitige­n Level zu halten – um mehr Kohle im Boden zu lassen. Die Aussichten für die Kohle sehen immer schlechter aus. Aber wir befinden uns in einem Rennen gegen die Zeit, und müssen diese Kräfte beschleuni­gen.

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Foto: AFP/Karen Bleier Kohlekraft­werk in Euharlee (Georgia)
 ?? Foto: AFP/Getty Images/Mark Wilson ?? Mary Anne Hitt kam über den Protest gegen die Sprengung von Berggipfel­n in Tennessee zur »Beyond Coal«-Kampagne der US-Naturschut­zorganisat­ion Sierra Club. Ihre größten Erfolge erreichte Hitt 2012, als die USA eine Regulierun­g des Quecksilbe­rausstoßes...
Foto: AFP/Getty Images/Mark Wilson Mary Anne Hitt kam über den Protest gegen die Sprengung von Berggipfel­n in Tennessee zur »Beyond Coal«-Kampagne der US-Naturschut­zorganisat­ion Sierra Club. Ihre größten Erfolge erreichte Hitt 2012, als die USA eine Regulierun­g des Quecksilbe­rausstoßes...

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