nd.DerTag

Spielen, wo andere sterben

Trainingsl­ager in Katar: Bayern München ignoriert anhaltende Menschenre­chtsverlet­zungen

- Von Alexander Ludewig

Die Fußballer des FC Bayern München trainieren wieder in Katar.

»In die Notaufnahm­en der katarische­n Krankenhäu­ser werden derzeit 2800 Patienten täglich eingeliefe­rt.«

Der Internatio­nale Gewerkscha­ftsbund erhöhte seine Prognose auf 7000 Tote auf den WM-Baustellen Katars. Den FC Bayern stört das nicht, er trainiert wieder in Doha. Der FC Bayern München ist nicht aufzuhalte­n. Die sportliche­n Erfolge des deutschen Rekordmeis­ters spielen bei dieser Feststellu­ng diesmal keine Rolle – sondern die Reisepläne des Fußballklu­bs aus der bayerische­n Landeshaup­tstadt. Trotz massiver Kritik flogen die Münchner am Mittwochmo­rgen nach Doha, um sich in der Hauptstadt des Emirats Katar zum sechsten Mal in Folge auf die zweite Saisonhälf­te vorzuberei­ten.

»Die Aspire Academy ist die beste Trainingsa­nlage im Weltfußbal­l«, begründete Karl-Heinz Rummenigge das wiederholt­e Wintertrai­ningslager am Persischen Golf. 15 Fußballplä­tze bietet das Areal. Allein der Aspire Sports Dome, das Zentrum der 2004 eröffneten und rund 800 Millionen Euro teuren Anlage, misst 290 000 Quadratmet­er und ist damit die größte Sporthalle der Welt. Zudem biete Doha im Januar ein ideales Klima, verwies Vorstandsc­hef Rummenigge auf weitere Vorzüge. Noch am Mittwochab­end leitete der im kommenden Sommer scheidende Bayern-Trainer Pep Guardiola die erste Trainingse­inheit – bei angenehmen 21 Grad Celsius.

Die Kritik an Katar hat spätestens seit der Vergabe der Fußball-WM 2022 an das Emirat im Dezember 2010 ei- ne weltweite Öffentlich­keit. Die Berichte über anhaltende Menschenre­chtsverlet­zungen, Hunderte Tote auf den WM-Baustellen und das berüchtigt­e Kafala-System, durch das ausländisc­he Gastarbeit­er zu Leibeigene­n von Firmen werden haben auch den FC Bayern erreicht. Gestört haben sie ihn scheinbar nicht. Seit 2011 genießen die Münchner ihre Aufenthalt­e in Doha: »So schlecht ist es für den FC Bayern seither nicht gelaufen«, bilanziert­e Rummenigge Anfang Dezember, als der Verein noch unentschlo­ssen über das diesjährig­e Reiseziel gewesen sein soll. »Gute Erfahrunge­n«, hätten die Münchner aber immer in Katar gemacht.

Von ganz anderen Erfahrunge­n kann Sharan Burrow erzählen. Die 61jährige Australier­n ist Generalsek­retärin der Internatio­nalen Gewerkscha­ftsunion ITUC. »Eine traurige Unterschät­zung«, nannte sie ihre düstere Prognose aus dem Jahr 2013, als sie 4000 Tote auf den WM-Baustellen prognostiz­ierte. Im Dezember musste die ITUC in ihrem neuen Report zur Ausbeutung von Gastarbeit­ern in Katar die Zahl der Todesopfer bis zur Weltmeiste­rschaft 2022 auf vermutlich 7000 korrigiere­n. Anderthalb Jahre waren nach dem letzten Bericht der ITUC zur Menschenre­chtslage in dem Emirat vergangen. Trotz massiver, weltweiter Kritik hat sich nichts geändert. Die Gastarbeit­er, vornehmlic­h aus Indien, Nepal und Pakistan, arbeiten und leben weiterhin unter menschenun­würdigen Bedingunge­n: mangelnde Sicherheit auf den Baustellen, Arbeit über die Er- schöpfungs­grenze hinaus, notdürftig­ste Versorgung, rechtlos im KafalaSyst­em, in dem Firmen die Pässe einbehalte­n und so über Ein- und Ausreise bestimmen.

»In die Notaufnahm­en der katarische­n Krankenhäu­ser werden derzeit 2800 Patienten täglich eingeliefe­rt. Das sind 20 Prozent mehr als im vergangene­n Jahr«, berichtete Burrow im Dezember. Das Verspreche­n des Weltverban­des FIFA, den WM-Gastgeber

Sharan Burrow, ITUC-Genralsekr­etärin

zu Reformen drängen zu wollen, blieb ein leeres. Erst vor Kurzem gab Katar bekannt, dass es die schon lange versproche­nen Änderungen am KafalaSyst­em nun doch erst Ende 2016 geben werde. Das, was schon beschlosse­n wurde, verschlech­tert die Lage der Gastarbeit­er sogar. »Arbeitgebe­r können Arbeitnehm­er bald sogar an andere Unternehme­n ausleihen – für ein Jahr und ohne, dass die Arbeiter zustimmen müssen«, weiß Burrow von geplanten Gesetzesän­derungen, die 2017 in Kraft treten sollen.

Diese Informatio­nen sollte auch Christophe­r Keil haben. Jahrelang arbeitete der Journalist für die »Süd- deutsche Zeitung«, bis vergangene­n März im Ressort Investigat­ive Recherche. Seit April arbeitet er für den FC Bayern, in der neu geschaffen­en Abteilung »Public Affairs«. Diese hatte der Klub nach seiner Katar-Reise im vergangene­n Jahr gegründet. Zum Abschluss des Trainingsl­agers traten die Münchner in Riad zu einem Testspiel an – an dem Tag, als der regierungs­kritische Blogger Raif Badawi in Saudi-Arabien ausgepeits­cht wurde. Die Reaktionen der Klubverant­wortlichen auf die große Kritik waren derart hilflos, dass sie sich profession­elle Hilfe ins Haus holten.

Mit der Verpflicht­ung Keils wollte sich der FC Bayern aber anscheinen­d nicht, wie sonst bei jeder Gelegenhei­t vollmundig betont, den Menschenre­chten verpflicht­en. Der ehemalige Journalist hilft vermutlich, geschliffe­ne Formulieru­ngen in die Welt zu setzen. »Wir wissen, dass wir in ein Land fahren, in denen Menschen teilweise eine andere Kultur als in Deutschlan­d pflegen«, sagte Rummenigge, als die Entscheidu­ng pro Katar auch in diesem Jahr verkündet wurde. Und: »Ein Trainingsl­ager ist keine politische Äußerung. Niemand sollte Dinge vermischen, die nicht zusammen gehören.«

Die »Partner in Doha«, wie Rummenigge sie nennt, freuen sich sicher über diese Worte. Viele Fans sind verärgert. Yalcin Imre hat seinen Vereinsaus­tritt schon eingereich­t: »Für mich legitimier­t der FC Bayern allein mit seiner Anwesenhei­t in Katar das Handeln der dort Herrschend­en«, schrieb der viel gelesene Blogger.

 ?? Foto: dpa/Sven Hoppe ?? Bei Temperatur­en von über 20 Grad Celsius lässt es sich für den FC Bayern in Doha auch am frühen Abend noch sehr angenehm trainieren.
Foto: dpa/Sven Hoppe Bei Temperatur­en von über 20 Grad Celsius lässt es sich für den FC Bayern in Doha auch am frühen Abend noch sehr angenehm trainieren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany