Spielen, wo andere sterben
Trainingslager in Katar: Bayern München ignoriert anhaltende Menschenrechtsverletzungen
Die Fußballer des FC Bayern München trainieren wieder in Katar.
»In die Notaufnahmen der katarischen Krankenhäuser werden derzeit 2800 Patienten täglich eingeliefert.«
Der Internationale Gewerkschaftsbund erhöhte seine Prognose auf 7000 Tote auf den WM-Baustellen Katars. Den FC Bayern stört das nicht, er trainiert wieder in Doha. Der FC Bayern München ist nicht aufzuhalten. Die sportlichen Erfolge des deutschen Rekordmeisters spielen bei dieser Feststellung diesmal keine Rolle – sondern die Reisepläne des Fußballklubs aus der bayerischen Landeshauptstadt. Trotz massiver Kritik flogen die Münchner am Mittwochmorgen nach Doha, um sich in der Hauptstadt des Emirats Katar zum sechsten Mal in Folge auf die zweite Saisonhälfte vorzubereiten.
»Die Aspire Academy ist die beste Trainingsanlage im Weltfußball«, begründete Karl-Heinz Rummenigge das wiederholte Wintertrainingslager am Persischen Golf. 15 Fußballplätze bietet das Areal. Allein der Aspire Sports Dome, das Zentrum der 2004 eröffneten und rund 800 Millionen Euro teuren Anlage, misst 290 000 Quadratmeter und ist damit die größte Sporthalle der Welt. Zudem biete Doha im Januar ein ideales Klima, verwies Vorstandschef Rummenigge auf weitere Vorzüge. Noch am Mittwochabend leitete der im kommenden Sommer scheidende Bayern-Trainer Pep Guardiola die erste Trainingseinheit – bei angenehmen 21 Grad Celsius.
Die Kritik an Katar hat spätestens seit der Vergabe der Fußball-WM 2022 an das Emirat im Dezember 2010 ei- ne weltweite Öffentlichkeit. Die Berichte über anhaltende Menschenrechtsverletzungen, Hunderte Tote auf den WM-Baustellen und das berüchtigte Kafala-System, durch das ausländische Gastarbeiter zu Leibeigenen von Firmen werden haben auch den FC Bayern erreicht. Gestört haben sie ihn scheinbar nicht. Seit 2011 genießen die Münchner ihre Aufenthalte in Doha: »So schlecht ist es für den FC Bayern seither nicht gelaufen«, bilanzierte Rummenigge Anfang Dezember, als der Verein noch unentschlossen über das diesjährige Reiseziel gewesen sein soll. »Gute Erfahrungen«, hätten die Münchner aber immer in Katar gemacht.
Von ganz anderen Erfahrungen kann Sharan Burrow erzählen. Die 61jährige Australiern ist Generalsekretärin der Internationalen Gewerkschaftsunion ITUC. »Eine traurige Unterschätzung«, nannte sie ihre düstere Prognose aus dem Jahr 2013, als sie 4000 Tote auf den WM-Baustellen prognostizierte. Im Dezember musste die ITUC in ihrem neuen Report zur Ausbeutung von Gastarbeitern in Katar die Zahl der Todesopfer bis zur Weltmeisterschaft 2022 auf vermutlich 7000 korrigieren. Anderthalb Jahre waren nach dem letzten Bericht der ITUC zur Menschenrechtslage in dem Emirat vergangen. Trotz massiver, weltweiter Kritik hat sich nichts geändert. Die Gastarbeiter, vornehmlich aus Indien, Nepal und Pakistan, arbeiten und leben weiterhin unter menschenunwürdigen Bedingungen: mangelnde Sicherheit auf den Baustellen, Arbeit über die Er- schöpfungsgrenze hinaus, notdürftigste Versorgung, rechtlos im KafalaSystem, in dem Firmen die Pässe einbehalten und so über Ein- und Ausreise bestimmen.
»In die Notaufnahmen der katarischen Krankenhäuser werden derzeit 2800 Patienten täglich eingeliefert. Das sind 20 Prozent mehr als im vergangenen Jahr«, berichtete Burrow im Dezember. Das Versprechen des Weltverbandes FIFA, den WM-Gastgeber
Sharan Burrow, ITUC-Genralsekretärin
zu Reformen drängen zu wollen, blieb ein leeres. Erst vor Kurzem gab Katar bekannt, dass es die schon lange versprochenen Änderungen am KafalaSystem nun doch erst Ende 2016 geben werde. Das, was schon beschlossen wurde, verschlechtert die Lage der Gastarbeiter sogar. »Arbeitgeber können Arbeitnehmer bald sogar an andere Unternehmen ausleihen – für ein Jahr und ohne, dass die Arbeiter zustimmen müssen«, weiß Burrow von geplanten Gesetzesänderungen, die 2017 in Kraft treten sollen.
Diese Informationen sollte auch Christopher Keil haben. Jahrelang arbeitete der Journalist für die »Süd- deutsche Zeitung«, bis vergangenen März im Ressort Investigative Recherche. Seit April arbeitet er für den FC Bayern, in der neu geschaffenen Abteilung »Public Affairs«. Diese hatte der Klub nach seiner Katar-Reise im vergangenen Jahr gegründet. Zum Abschluss des Trainingslagers traten die Münchner in Riad zu einem Testspiel an – an dem Tag, als der regierungskritische Blogger Raif Badawi in Saudi-Arabien ausgepeitscht wurde. Die Reaktionen der Klubverantwortlichen auf die große Kritik waren derart hilflos, dass sie sich professionelle Hilfe ins Haus holten.
Mit der Verpflichtung Keils wollte sich der FC Bayern aber anscheinend nicht, wie sonst bei jeder Gelegenheit vollmundig betont, den Menschenrechten verpflichten. Der ehemalige Journalist hilft vermutlich, geschliffene Formulierungen in die Welt zu setzen. »Wir wissen, dass wir in ein Land fahren, in denen Menschen teilweise eine andere Kultur als in Deutschland pflegen«, sagte Rummenigge, als die Entscheidung pro Katar auch in diesem Jahr verkündet wurde. Und: »Ein Trainingslager ist keine politische Äußerung. Niemand sollte Dinge vermischen, die nicht zusammen gehören.«
Die »Partner in Doha«, wie Rummenigge sie nennt, freuen sich sicher über diese Worte. Viele Fans sind verärgert. Yalcin Imre hat seinen Vereinsaustritt schon eingereicht: »Für mich legitimiert der FC Bayern allein mit seiner Anwesenheit in Katar das Handeln der dort Herrschenden«, schrieb der viel gelesene Blogger.