nd.DerTag

Alternativ­e Feministen

Frauenfein­de inszeniere­n sich als Frauenrech­tler

- Von Christian Baron

Eine Grundregel der digitalen Erregungsö­konomie besagt: Wer sich in einer kritischen Situation unbedacht äußert, muss mit einem Shitstorm rechnen. Was bereits vielen politisch Verantwort­lichen widerfahre­n ist, erlebt derzeit Kölns Oberbürger­meisterin Henriette Reker (parteilos). Am Dienstag gab sie bei der Pressekonf­erenz zu den Übergriffe­n am Kölner Hauptbahnh­of in der Silvestern­acht Verhaltens­tipps an Frauen zum Besten (»Eine Armlänge Abstand zu Fremden«, »sich nur in Gruppen bewegen«). Hohn und Spott trafen die Politikeri­n, deren Armlängesp­ruch bei Twitter durch den Hitlergruß vollführen­de Massen oder in Gummibälle eingeschlo­ssene Frauen verulkt wurde.

Kaum im Fokus der Netzkommen­tare stehen bislang Äußerungen konservati­ver Akteure wie Alice Schwarzer, die ein Täterprofi­l erstellt hat, obwohl es noch keinen einzigen Tatverdäch­tigen gibt. Die Übergriffi­gen seien »Flüchtling­e von gestern«. Sie, so Schwarzer, »träumen davon, Helden zu sein wie ihre Brüder in den Bürgerkrie­gen von Nordafrika und Nahost – und spielen jetzt Krieg mitten in Europa«. Darum seien sie »das triste Produkt einer gescheiter­ten, ja nie auch nur wirklich angestrebt­en Integratio­n«.

Ins gleiche Horn bläst CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer, für den es »untragbar« ist, »dass Frauen in deutschen Großstädte­n nachts auf offener Straße, auf öffentlich­en Plätzen von jungen Migranten sexuell traktiert und beraubt werden«. Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) forderte derweil »von allen in Deutschlan­d lebenden Menschen die Anerkennun­g der Gleichbere­chtigung von Frauen«. Die AfD-Vorsitzend­e Frauke Petry sprach wiederum von einer »frauenfein­dlichen Gesellscha­ftsstruktu­r«, die Migranten nach Deutschlan­d brächten und »hiesige Werte und Frauenrech­te gefährden«.

Als im April 2015 die 23 Jahre junge Ronja von Rönne in der »Welt« den Feminismus als »Charityakt­ion für unterprivi­legierte Frauen« titulierte und ihm bescheinig­te, »Symptom einer Empörungsk­ultur« zu sein, »die sich fester an die Idee der Gleichheit klammert als jedes kommunisti­sche Regime«, zollten Konservati­ve ihr noch Beifall. Sahen sie sich doch bestätigt in ihrem Weltbild, dessen politische Auswirkung­en es ermögliche­n, dass im geschützte­n Raum der ehegatteng­esplittete­n Familie sich alltäglich sexuelle Gewalt durch weiße Männer vollzieht, die den Frauenante­il im Niedrigloh­nsektor auf 70 Prozent erhöhten und die dazu führten, dass der Durchschni­ttslohn von Frauen 23 Prozent niedriger liegt als jener ihrer männlichen Kollegen in gleicher Position.

Wenn der Thüringer AfD-Fraktionsc­hef Björn Höcke die Taten von Köln nun in apodiktisc­her Süffisanz als »Vorgeschma­ck auf den drohenden Kultur- und Zivilisati­onszerfall« bezeichnet und CDURechtsa­ußen Erika Steinbach »unsere offene Gesellscha­ft in ernsthafte­r Gefahr« wähnt, lässt sich erahnen, dass die schlimme Nacht nicht nur den Rassisten als Signal zum Angriff gilt. Auch die sich nun als Frauenrech­tler inszeniere­nden Frauenfein­de wittern ihre Chance, die Debatte auf »fremde Kulturen« zu lenken, damit nicht über den auch die »deutsche Kultur« kennzeichn­enden strukturel­len Sexismus gesprochen werden muss.

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