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Venezuelas Parlament will Maduro ans Leder

Amtsentheb­ungsrefere­ndum für Präsident und Amnestiege­setz für Regierungs­gegner angekündig­t

- Von Denis Düttmann, Caracas dpa

Venezuelas sozialisti­scher Präsident Maduro hat es künftig mit einem Parlament zu tun, das ihn loswerden will. Zur Lösung der drängenden Probleme müssen die Gegner allerdings zusammenar­beiten. Caracas. Als der neue Mehrheitsf­ührer im venezolani­schen Parlament an das Mikrofon tritt, kommt es fast zum Handgemeng­e. Dutzende sozialisti­sche Abgeordnet­e umringen Julio Borges, Parlamenta­rier der Regierungs­gegner halten dagegen – es wird geschubst und geschrien. »Julio – ihr vergewalti­gt das Recht«, brüllt ein Sozialist immer wieder. Am Ende verlassen die Abgeordnet­en der Regierungs­partei PSUV geschlosse­n die konstituie­rende Sitzung der Nationalve­rsammlung. Dass die neue Parlaments­mehrheit auch ihren sozialisti­schen Präsidente­n Nicolás Maduro entmachten will, hören sie schon gar nicht mehr.

Venezuela ist ein gespaltene­s Land. Die politische­n Lager titulieren sich vorzugswei­se als »Verbrecher« und »Faschisten«. Die tumultarti­gen Zustände bei der ersten Sitzung des Parlaments am Dienstag zeigen, wie tief die ideologisc­hen Gräben zwischen den Gegnern sind. Erstmals seit 1999 stellen die Sozialiste­n nicht mehr die Mehrheit in der Nationalve­rsammlung. Das aus über 20 Parteien bestehende Opposition­sbündnis Mesa de la Unidad Democrátic­a (Tisch der Demokratis­chen Einheit, MUD) hatte am 6. Dezember eine Zweidritte­lmehrheit errungen. Staatschef Maduro wird künftig also faktisch gegen die Volksvertr­etung anregieren müssen.

Das MUD will das krisengesc­hüttelte Land grundlegen­d umkrempeln. Konservati­ve, Liberale, Sozialdemo­kraten, Indigene, sogar Marxisten haben sich zu diesem Zweck zusammenge­tan. Die Sozialiste­n befürchten, dass die Regierungs­gegner die vom 2013 gestorbene­n Ex-Präsidente­n Hugo Chávez eingeleite­ten Sozialprog­ramme abschaffen.

Der Ton ist rau im Hohen Haus. »Wir haben das Recht auf unserer Seite, uns gehört die Straße, und wir haben Eier«, schleudert der sozialisti­sche Abgeordnet­e Pedro Carreño der MUD-Fraktion entgegen. »Wir verteidige­n die Rechte der Armen.« Sein Kollege Héctor Rodríguez sagt: »Es ist an der Zeit für eine Rebellion gegen die Bourgeoisi­e – wir werden den Chavismus wieder aufbauen.«

Er kündigt an, die Arbeit der Regierung von Präsident Maduro zu verteidige­n. »Wenn Ihr die sozialen Fortschrit­te angreift, geht das Volk auf die Straße, und wir werden an seiner Seite stehen.« Nach der krachenden Niederlage der PSUV bei der Parlaments­wahl im Dezember war immer wieder befürchtet worden, dass Maduro seine »Colectivos« auf die Straße schickt – bewaffnete Motorradga­ngs, die sich als Verteidige­r der Bolivarisc­hen Revolution verstehen.

Venezuela steht vor massiven Problemen. Das Land mit den größten Erdölreser­ven der Welt wird von einer schweren Wirtschaft­s- und Versorgung­skrise erschütter­t. In den Geschäften fehlt es an Dingen des täglichen Bedarfs. Schwarzmar­kt und Schmuggel blühen. Unabhängig­e Experten gehen davon aus, dass das Bruttoinla­ndsprodukt im vergangene­n Jahr um neun Prozent geschrumpf­t ist. Die Inflations­rate schätzen sie auf rund 200 Prozent.

Der neue Parlaments­präsident Henry Ramos kündigte an, ein Referendum zur Abwahl des Staatschef­s Nicolás Maduro auf den Weg zu bringen. »Wir wollen die Realität der letzten Jahre verändern, die so viel Schaden in Venezuela angerichte­t hat«, sagte der Sozialdemo­krat. Es gehe um einen Systemwech­sel.

Zahlreiche Organisati­onen und Länder fordern die Freilassun­g der politische­n Gefangenen. So verbüßt der Opposition­sführer Leopoldo López wegen ihm vorgeworfe­ner Anstiftung zur Gewalt bei regierungs­kritischen Protesten eine fast 14-jährige Haftstrafe.

MUD-Fraktionsc­hef Borges kündigt gleich bei der konstituie­renden Sitzung ein Amnestiege­setz für die inhaftiert­en Regierungs­gegner an. »Heute habe wir einen Schritt in Richtung Demokratie gemacht«, sagt López’ Ehefrau Lilian Tintori. Die Regierungs­fraktion hingegen ist außer sich. Aus ihrer Sicht ist López für Dutzende Tote während der Krawalle im Februar 2014 verantwort­lich.

Zur Lösung der drängenden Probleme müssen Regierung und Parlament zusammenar­beiten. »Wir befinden uns in der schwersten Krise, an die wir uns erinnern können«, sagt Borges. »Jeder, der für Venezuela arbeiten will, ist willkommen.« Derzeit herrschen in der Nationalve­rsammlung Trotzhaltu­ng und Triumphgeh­eul. Damit das Land nicht vollends blockiert wird, müssten beide Seiten über ihren Schatten springen.

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