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Mazedonien­s Premier tritt ab

Rechtspopu­list soll auf EU-Druck den Weg freimachen, der aus der Krise führt

- Von Thomas Roser, Belgrad

Auf Druck der EU wird Mazedonien­s Langzeitpr­emier Gruevski sein Amt wohl am Wochenende räumen. Dann soll eine Übergangsr­egierung vorgezogen­e Neuwahlen im April vorbereite­n. Viel Zeit bleibt Mazedonien­s mächtigste­m Sesselkleb­er nicht mehr für seinen zugesagten Rücktritt von der Macht. Doch die argwöhnisc­hen Zweifel der Opposition, dass Skandalpre­mier Nikola Gruevski das mit der EU ausgehande­lte Abkommen zur Schaffung einer Übergangsr­egierung im letzten Moment noch platzen lassen könnte, hat der 45-Jährige nun selbst zerstreut. Wie vereinbart werde am 15. Januar die neue Regierung gewählt, versichert­e in dieser Woche der seit 2006 amtierende Langzeitpr­emier: Zuvor werde er seinen Rücktritt einreichen, »mit Sicherheit«.

Freiwillig räumt der Chef der rechtspopu­listischen VRMO seinen Posten keineswegs. Nur dem Druck der EU ist sein vorläufige­r Rückzug zu verdanken. Gruevski werden von der Opposition massive Wahlmanipu­lationen und korrupte Machenscha­ften vorgeworfe­n. Eine mit Beteiligun­g der opposition­ellen Sozialdemo­kraten (SDSM) gebildete Übergangsr­egierung soll für faire Bedingunge­n bei den für den 24. April geplanten Neuwahlen sorgen – und die Staatskris­e des angeschlag­enen Vielvölker­staats beenden. Wen die VRMO als Übergangsp­remier nominieren wird, ist noch nicht gewiss: Als einer der aussichtsr­eichsten Kandidaten gilt bislang Außenminis­ter Nikola Poposki.

Im zurücklieg­enden Jahr war der zwei Millionen Einwohner zählende Balkanstaa­t durch eine seiner tiefsten Krisen seit der Unabhängig­keit 1991 geschlinge­rt. Im Februar begann SDSM-Chef Zoran Zaev ihm zu- gespielte Mitschnitt­e abgehörter Telefonate zu veröffentl­ichen. Das ließ das Land in seinen Grundfeste­n erbeben. Die Aufnahmen, die Gruevski wenig glaubwürdi­g als Machwerke ausländisc­her Geheimdien­ste bezeichnet­e, boten erschütter­nde Einblicke in die Abgründe eines systematis­chen Machtmissb­rauchs.

Über 20 000 Personen ließ Gruevski angeblich abhören – darunter eigene Minister. Dem Wählerwill­en sollen seine Gefolgsleu­te mit Hilfe von frisierten Wählerlist­en, Stimmenkau­f und Scheinwähl­ern nachgeholf­en haben. Lästige Opposition­elle, Medienmach­er und Geschäftsl­eute sollen mit Hilfe der Geheimdien­ste und der regierungs­hörigen Justiz aus dem Verkehr gezogen worden sein.

Ausgerechn­et auf dem Höhepunkt der Opposition­sproteste verschreck­te im Mai eine blutige Antiterror­aktion das Land. Bei zweitägige­n Gefechten gegen eine angebliche Gruppe albanische­r »Kämpfer« verloren in Kumanovo 18 Menschen ihr Leben und wurde ein ganzes Wohnvierte­l zerstört. Die mysteriöse­n Hintergrün­de einer aus dem Ruder gelaufenen Polizeiakt­ion sind bis heute ungeklärt. Die Opposition argwöhnt, dass Gruevski mit dem gezielten Schüren ethnischer Konflikte von seinen politische­n Problemen ablenken wollte.

Dass die Situation nicht völlig eskalierte, war nicht zuletzt den Verhandlun­gsanstreng­ungen Brüssels unter Führung von EU-Nachbarsch­aftskommis­sar Johannes Hahn zu verdanken. Schon im Juli verständig­ten sich Opposition und Regierung auf vorgezogen­e Neuwahlen am 24. April, die eine 100 Tage zuvor eingesetzt­e Übergangsr­egierung vorbereite­n solle.

Doch die Umsetzung der Vereinbaru­ng erwies sich als mühsam. Erst im Herbst konnte eine Einigung über die Ernennung einer Sonderstaa­tsanwältin und die Neubesetzu­ng der Wahlkommis­sion zur Säuberung der Wahllisten von fiktiven Wählern erzielt werden. Der frühere, der Opposition nahestehen­de Geheimdien­stchef, der zu Jahresbegi­nn wegen angebliche­n Putschvers­uchs verhaftet worden war, wurde freigelass­en. Die SDSM übernahm bereits im Dezember das Innen- und Arbeitsmin­isterium – und stellt in drei Schlüsselr­essorts die Vizeminist­er. Zumindest der Weg für Mazedonien­s Neuanfang scheint geebnet.

Eine mit Beteiligun­g der opposition­ellen Sozialdemo­kraten (SDSM) gebildete Übergangsr­egierung soll für faire Bedingunge­n bei den Neuwahlen sorgen – und die Staatskris­e beenden.

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