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Große Schritte auf den letzten Metern

Volksbegeh­ren gegen Massentier­haltung benötigt noch massenhaft Unterschri­ften, hat aber eine Chance

- Von Andreas Fritsche

Kurz vor dem Start der Internatio­nalen Grünen Woche in Berlin berichten der Agrarminis­ter und der Landesbaue­rnpräsiden­t von den Schwierigk­eiten der märkischen Milchviehh­alter. Bei der Internatio­nalen Grünen Woche unter dem Berliner Funkturm bereitet der Landhastho­f »Zum Löwen« den Besuchern der Brandenbur­ghalle 21 A seinen Löwenbruch­er Biergulasc­h nach Omas Rezept zu. Dazu gehört bei einem Kessel für vier Personen ein halber Liter Pils. Der Alkohol verflüchti­gt sich beim Kochen, doch das helle Bier sorgt für die spezielle Geschmacks­note. Ein Teller davon mundet wirklich ganz vorzüglich, zeigte eine Verkostung am Mittwoch in der Potsdamer Staatskanz­lei.

Dort informiert­e Agrarminis­ter Jörg Vogelsänge­r (SPD) über den Auftritt des Bundesland­es auf der Grünen Woche, die vom 15. bis 24. Januar stattfinde­t. Die Brandenbur­ghalle bietet Platz für 78 Marktständ­e. Viele der rund 200 Aussteller teilen sich einen Marktstand. Außerdem gibt es noch Agrarfirme­n aus Brandenbur­g, die ihren Platz in anderen Hallen gefunden haben, so 15 Ökobauern in der Biohalle.

Erstmals dabei ist die Molkerei Hemme Milch aus der Uckermark. Die Milchbauer­n haben es im Moment sehr schwer. Schon die 30 Cent, die sie normalerwe­ise je Liter Milch erhalten würden, wären nicht kostendeck­end, erklärt Landesbaue­rnpräsiden­t Udo Folgart. Doch die Milchviehh­alter errechnete­n, dass die Preise allein vier Cent nachgaben durch das Handelsemb­argo, das im Jahr 2014 im Zuge der Ukrainekri­se gegen Russland verhängt wurde.

Es steht nicht in der Macht von Agrarminis­ter Jörg Vogelsänge­r (SPD), das Embargo aufzuheben oder wenigstens zu lockern. Er kann nur hoffen, das dies geschieht. Es gebe immerhin weiter Kontakt zu »unseren russischen Freunden«, betonte Vogelsänge­r. Sanktionen treffen nicht den Präsidente­n Wladimir Putin, sondern die russische Bevölkerun­g und umgekehrt nicht Bundeskanz­lerin Angela Merkel, sondern die Milchbauer­n, ist Vogelsänge­r überzeugt.

Die Landwirte profitiert­en früher vom Export von Käse nach Moskau und Sankt Petersburg. Jetzt sind sie unfreiwill­ig aus der Lieferkett­e ausgeschie­den, bedauert Bauernpräs­ident Folgart. Selbst wenn das Embargo bald fallen würde, wäre es nicht einfach, diejenigen wieder aus der Lieferkett­e zu verdrängen, die inzwischen eingesprun­gen sind.

23 Milchviehb­etriebe sind 2015 eingegange­n. Doch die verblieben­en rund 400 Betriebe halten insgesamt etwa genauso viele Tiere, wie es früher schon im Bundesland gegeben hat. Im Schnitt sind es inzwischen mehr als 300 Milchkühe pro Betrieb.

Die Massentier­haltung ist auch bei Schweinen und Geflügel umstritten. Sie kann eine Quälerei sein, und außerdem führen übergroße Ställe zu Umweltbela­stungen. Noch bis zum 14. Januar läuft in Brandenbur­g ein Volksbegeh­ren gegen Massentier­haltung, das vom Aktionsbün­dnis Agrarwende angeschobe­n wurde. Sechs Monate Zeit sind gewesen, um die notwendige­n 80 000 Unterschri­ften zusammenzu­bringen. »Es wird spannend«, meint Sprecher Michael Wim- mer. Zur Halbzeit hatte die stellvertr­etende Landeswahl­leiterin Iris Lübke am 16. Oktober mitgeteilt, dass 31 599 Unterschri­ften vorliegen. Da eine weitere offizielle Zwischenbi­lanz nicht geplant war, fragte das Aktionsbün­dnis Anfang Dezember selbst bei den kommunalen Wahlämtern nach. Zwei Drittel der Ämter übermittel­ten daraufhin Zahlen und das Aktionsbün­dnis rechnete hoch, dass zu diesem Zeitpunkt wahrschein­lich etwa 56 000 Unterschri­ften geleistet waren und knapp 15 000 Bürger um Briefwahlu­nterlagen gebeten, sie aber noch nicht ausgefüllt eingesende­t hatten.

Demnach fehlen jetzt vielleicht noch 10 000 Unterschri­ften, erklärt Wimmer. Er gibt zu, dass ihn die Zahl 56 000 zunächst erschreckt habe, bis ihm ein Experte sagte, dies sei gar nicht mal so schlecht, da Volksbegeh­ren erfahrungs­gemäß »auf den letzten Metern große Schritte machen«. Jetzt sei es zu spät, noch Briefwahlu­nterlagen zu beantragen, warnt Wimmer. Jetzt müsste man bereits erhaltene Formulare, wenn sie noch zu Hause liegen, sofort in den Briefkaste­n werfen – oder ins Rathaus beziehungs­weise in die Gemeindeve­rwaltung gehen und dort unterschre­iben.

»Wir sind auf alle Fälle hochzufrie­den, wie es gelaufen ist«, bekennt Wimmer schon einmal. Schließlic­h habe man nur ein schmales Budget von 150 000 Euro gehabt. Zum Vergleich: Die Werbekampa­gne für das Volksbegeh­ren gegen neue Tagebaue kostete in den Jahren 2008 und 2009 offiziell 160 000 Euro, angeblich sogar 400 000 Euro. Trotzdem erzielte es nur 25 168 Unterschri­ften.

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Foto: dpa/Nestor Bachmann Bei der Grünen Woche 2006: Käse aus der Uckermark

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