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Milchzapfe­n ist das neue Tanken

Ein Automat an der Autobahnzu­fahrt – wie eine sächsische Genossensc­haft mit einer PR-Idee richtig Umsatz macht

- Von Heidrun Böger, Leipzig

In Bayern und Niedersach­sen, gibt es viele solche Automaten, in Leipzig dagegen steht erst ein einziger Milchautom­at. Aber der übertrifft alle Erwartunge­n. Geld eingeworfe­n, Knopf gedrückt – schon fließt die frische Milch: Sehr gut angenommen wird der Milchautom­at, den die Agrargenos­senschaft Kitzen in Sachsen Anfang November am Stadtrand von Leipzig in Betrieb genommen hat. Er ist bislang der einzige weit und breit. Statt der erwarteten 60 Liter pro Tag werden 500 Liter verkauft. Die Idee könnte Schule machen.

Es ist ständig Betrieb am Automaten, wobei niemand zu Fuß kommt. Dafür sind Milchvieha­nlage und Automat zu abgelegen, obwohl die Zubringers­traße zur Autobahn 38 direkt vorbeiführ­t. Die Leute fahren mit dem Auto vor oder nehmen das Rad. Wie Petra Roth zum Beispiel. Sie kramt einen Euro aus der Tasche und steckt ihn in den Automaten: »Ich finde die Idee klasse. Im Sommer, wenn der Stall offen ist, sehe ich sogar die Kühe, die die Milch geben. Es ist viel besser, die Milch hier vor Ort zu kaufen. Da wird sie nicht 100 Kilometer durch die Gegend gefahren. Außerdem ist sie nicht homogenisi­ert.«

Ähnlich sieht es Jens Wittig: »Hier bekomme ich frische Rohmilch direkt vom Erzeuger. Ich wohne in der Nähe, für mich ist das ideal.« Nutzer Frank Herrmann schreibt auf facebook: »Die erste Flasche war schon auf der Heimfahrt alle.«

In den alten Bundesländ­ern, zum Beispiel in Bayern und Niedersach­sen, gibt es viele solche Automaten, erklärt Thomas Rößner, einer der beiden Vorstände der Agrargenos­senschaft Kitzen. Er ist offen für Innova- tionen. »Wir hatten von dieser Art der Direktverm­arktung gehört und uns einen Automaten in der Nähe von Chemnitz angeschaut«, erzählt der 34-jährige Landwirt.

Die Agrargenos­senschaft hat zwei Standorte- an denen Milch erzeugt wird – einen in Kitzen und den in Leipzig-Großzschoc­her bei Leipzig, wo sich auch der neue Automat befindet. 950 Milchkühe und Kälber stehen in den Ställen. Die Automaten – in Kitzen selbst werden etwa 100 Liter pro Tag verkauft – waren ursprüngli­ch zur Imagepfleg­e gedacht. Doch inzwischen macht der damit erzielte Umsatz etwa drei Prozent des Gesamtumsa­tzes von 20 000 Litern aus. Nicht schlecht für eine PR-Idee.

Vorstand Rößner überschlug die Kosten von etwa 20 000 Euro pro Automat und rechnete aus, dass sich die Investitio­n in fünf Jahren amortisier­t: »Das war aber mit 60 Litern gerechnet, mit 600 Litern an beiden Auto- maten bekommen wir unsere Investitio­n natürlich viel schneller rein.«

Die Agrargenos­senschaft ist ein Gemischtbe­trieb, der Tierproduk­tion und auf 3500 Hektar Pflanzenpr­oduktion betreibt. Gewinne erwirtscha­ftet aber nur die Pflanzenpr­oduktion mit Raps, Mais, Zuckerrübe­n und Futterkult­uren. Die Produktion­skosten für einen Liter Milch liegen bei 0,32 Euro, die Molkerei zahlt 0,27 Euro. Ein Verlustges­chäft. Thomas Rößner: »Hier ist auch die Politik gefragt, um die Marktteiln­ehmer zur kostendeck­enden ge- meinsamen Vermarktun­g an einen Tisch zu bringen.« Im Laden bezahlen die Kunden für einen Liter Milch zwischen 0,50 Euro und 1,10 Euro, je nach Qualität. Erst im September war in Brüssel der Protest von Bauern gegen niedrige Milchpreis­e eskaliert, Heuballen brannten und Flaschen flogen.

Am Milchautom­aten in LeipzigGro­ßzschocher kostet der Liter einen Euro, alles ist auf Selbstbedi­enung ausgelegt. Wer keine Milchkanne oder Flasche mit hat, kauft zunächst an einem separaten Automaten für 50 Cent eine Glasflasch­e. Am Milchautom­aten daneben wirft man dann seinen Euro ein und füllt dann die gekühlte Rohmilch ab. Die ist vollkommen unbehandel­t und enthält zwischen 3,5 und 4,0 Prozent Fett. Frisch ist sie sowieso, gekühlt hält sie drei Tage. Ist die Milch alle, wird die Zentrale per SMS informiert, dann kommt Nachschub. Beide Automaten, sowohl der in Kitzen als auch der in Lerizig-Großzschoc­her, stehen in Häuschen, geschützt vor Regen und schlechter Witterung.

Auch Sachsens Staatsmini­ster für Umwelt und Landwirtsc­haft Thomas Schmidt kostete schon mal die Milch aus dem Automaten in Kitzen, als er im September beim Erntedankf­est war. In Leipzig-Großzschoc­her veranstalt­ete die Agrargenos­senschaft im November einen Tag der offenen Tür, zu dem über 2000 Leute kamen, um sich die Tierhaltun­g anzuschaue­n. Geschäftsf­ührer Rößner: »Die Reaktionen hinterher auf facebook waren vor allem positiv.«

Statt der erwarteten 60 Liter pro Tag werden 500 Liter verkauft. Die Idee könnte Schule machen.

 ?? Foto: Heidrun Böger ?? Thomas Rößner, einer der beiden Vorstände der Agrargenos­senschaft Kitzen, vor dem Milchautom­aten in Leipzig-Großzschoc­her Der Leipziger Milchautom­at der Agrargenos­senschaft Kitzen steht in der Raiffeisen­straße 51, 04249 Leipzig; Zapfzeiten: 5 bis 22...
Foto: Heidrun Böger Thomas Rößner, einer der beiden Vorstände der Agrargenos­senschaft Kitzen, vor dem Milchautom­aten in Leipzig-Großzschoc­her Der Leipziger Milchautom­at der Agrargenos­senschaft Kitzen steht in der Raiffeisen­straße 51, 04249 Leipzig; Zapfzeiten: 5 bis 22...

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