Sprache der Bilder
Aljonna und Klaus Möckel über Dans Bilder
Klaus Möckels »Hoffnung für Dan« erschien 1983. Das Thema war neu in der DDRLiteratur: der schonungslose Bericht einer Mutter über das Leben mit einem behinderten Kind. Das Buch, das sofort einen großen Leserkreis ansprach, beruhte auf den leidvollen Erfahrungen von Klaus und Aljonna Möckel mit ihrem 1966 geborenen Sohn Dan. Durch eine frühkindliche Hirnschädigung taubstumm und nicht fähig, die Zeichensprache zu erlernen, war und blieb Dan in jeder Beziehung ein schwieriges Kind. Die Eltern gaben die Hoffnung für ihn niemals auf. Berechtigt, wie sich erwies.
Inzwischen lebt und arbeitet Dan seit langem in einer geschützten Einrichtung. Die Wochenenden und den Urlaub verbringen die Eltern mit ihm. Bis heute können sie sich nur durch wenige Gesten mit Dan verständigen. Er lebt in einer eigenen, nahezu hermetischen und geräuschlosen Welt, die ihm niemand zu erklären vermag. Er kennt keine Musik, keine Kunst oder Literatur, kann seine Gedanken, Wünsche und Gefühle nicht ausdrücken. Versuche, ihn mit Farbstiften zu beschäftigen, endeten mit wirren Kritzeleien. Dann wurde in der Einrichtung ein Malzirkel gegründet, und zur Freude der Eltern begann Dan sich mit Farben anzufreunden und sie mit kühnem Pinselstrich zu gebrauchen. Mit Feuereifer erlernte der sonst so Ungeduldige die Grundlagen der Malkunst, tuschte farbkräftige Aquarelle, malte mit Acryl und benutzte Fettstifte. Er bevorzugt tiefes Blau und kräftiges Grün, liebt das Wasser und Segelboote. Häuser, Menschen und Tiere, zu denen er ein eher distanziertes Verhältnis hat, geraten kindlich-ungelenk. Aber die Natur! Neben abstrakt anmutenden Motiven bietet sie Dan einen ganz eigenwilligen Kosmos. Da wachsen Bäume wie Pilze, stehen Blumen mit kräftigen Stämmen in satten Wiesen, hockt auch mal ein Papagei im Gezweig.
Zur großen Überraschung eignete sich Dan schließlich eine spezielle Technik an, um mit viel Geduld feinste Punkte und Verästelungen auf die Malfläche zu bringen. Seine zarten Winterbilder, das leuchtende, wie mit japanischen Kirschblüten übersäte Strauchwerk, die kahlen Äste vor gelb-rot dräuender Landschaft verblüffen und begeistern den Betrachter.
Als 2009 zum Jubiläum des Mauerfalls für die »Aktion Domino« 1200 Meter hohe Styropor-Blöcke zu bemalen waren, fuhr seine Lehrerin mit Dan zur Glienicker Brücke. Anschließend malte Dan die Brücke, über die er oft mit seinen Eltern fuhr, auf einen der symbolischen Steine. Dazu Vögel, einen Baum und eine Wiese. Am Potsdamer Platz erlebte er, wie sein Stein Nr. 359, den er freudig wiedererkannte, in einer Aktion umfiel, deren Sinn ihm dunkel blieb.
Die Möckels haben für den kleinen Band etwa hundert von Dans Bildern – von denen einige schon in Ausstellungen gezeigt worden sind – ausgewählt. Das Buch ist als ein Geschenk für den Sohn gedacht: Im April wird Dan 50. Der einfühlsame Begleittext und die Fotos verraten einiges von dem, was er und seine Eltern in diesen 50 Jahren vollbracht haben.
Inzwischen hat Dan aufgehört zu malen. Der Saal für den Malzirkel, an den er gewöhnt war, entspricht nicht mehr den feuerpolizeilichen Sicherheitsanforderungen.
EDITION digital. 172 S., br., 14,90 €.