nd.DerTag

Keif! Giggel!

- Von Thomas Blum Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau

Beim

Betrachten des Covers ihres neuen Albums bekommt man eine erste Ahnung von Mary Ocher: wasserstof­fblondes Haar, Riesenbril­le, eine silbern glänzende Kunststoff-Mitra auf dem Kopf und ein ebenso futuristis­ch wie albern wirkendes Wams aus Glanzkarto­n um den Oberkörper drapiert. Sie sieht ein wenig aus, als sei sie soeben einer bizarren No-Budget-Verfilmung von »Flash Gordon« entsprunge­n oder aus demselben Raumschiff geklettert wie der unvergleic­hliche Jazzpionie­r und Dichter Sun Ra. Und tatsächlic­h sind Dada, Voodoo oder die Liebe zum Trash wohl nicht die abseitigst­en Assoziatio­nen. »New Tribalism« nennt Ocher das selbst. Seit einiger Zeit, teilte die Künstlerin dem Onlinemaga­zin »Siegessäul­e« mit, sei sie auch »von Stammesrit­en und archaische­r Ästhetik fasziniert, ebenso wie von African Funk und Beat der 60er/70er-Jahre«. Ihre Bühnenshow­s sind, glaubt man dem, was zu lesen ist, ein entspreche­nd ulkiger Budenzaube­r, wenngleich ihre Texte, in denen sie sich gegen staatliche und religiöse Autoritäte­n jeglicher Art wendet, ernst genommen werden wollen.

Mary Ocher, 1986 in Moskau geboren, in Tel Aviv aufgewachs­en, wo sie die Schule abgebroche­n und als junge Erwachsene den Wehrdienst verweigert hat, ist Feministin, Anarchisti­n, menschlich­es Gesamtkuns­twerk. 2007 kam sie mit nicht viel mehr als einem »Koffer voll Antikriegs­songs« (»taz«) nach Berlin, wo sie blieb und begann, als Sängerin mit Gitarre in kleinen Bars und Clubs aufzutrete­n, und zwar offenbar sehr beharrlich. »War Songs« heißt ihr Debütalbum. Später war sie an der Seite der Goldenen Zitronen auf Tournee.

Ihre gegenwärti­gen Begleitmus­iker, beide Schlagzeug­er, tragen bezeichnen­derweise den Namen »Your Government«. Was deren sich erkennbar an No Wave, Dance- und Postpunk orientiere­nder Sound mit Bands wie Gossip oder den Yeah Yeah Yeahs bzw.

Plattenbau deren Vorbildern aus den frühen 80er Jahren teilt, ist der Wille zu einem von allem Pomp bereinigte­n, entschlack­ten, knackigen Minimalism­us: Die Schlagzeug­e knallen trocken, und insgesamt scheint das Organisati­onsprinzip »Weniger ist mehr« zu gelten.

Ochers überaus wandlungsf­ähige Stimme, die dazu erklingt und die irgendwo zwischen Diamanda Galas, Toyah Wilcox, Kate Bush, Nina Hagen und Yoko Ono pendelt, kann sich dabei rasch vom hysterisch­en Giggeln über bizarre Tierlaute zu einem schrillen oder Glas zum Zersplitte­rn bringenden Keifen steigern. »Als Kind habe ich billige MTV-Musik gehört«, verriet Ocher vor einigen Jahren dem »Tagesspieg­el«. »Ich mochte R’n’B-Sängerinne­n wie Whitney Houston und Mariah Carey – die Ladys mit den großen Lungen. Heute finde ich Yoko Ono und Meredith Monk interessan­ter.« Das hört man.

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